Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Blaðsíða 97
PHILOSOPHISCHE STRÖMUNGEN
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hangsrelationen setzen, das ist es, was Lagerborg unermiidlich
wiederholt. Meint man mit Hilfe der Begriffe »Kraft« und »Ma-
terie« etwas »erklárt« zu haben, so benimmt man sich ebenso
naiv wie die Psychologie vergangener Zeiten, die mit der »Seele«
als »Ursache« »erklárte«. Wie sich die Psychologie einzig an die
Phánomene, die Yerláufe, zu halten hat, so darf man hoffen, dass
die Physik — es war dies im Jahre 1920 — eine Physik ohne
Materie ausbilden wird.
Es sind zweiundzwanzig Jahre her, seit Lagerborg die Vor-
lesungen iiber »Wissenschaftliche Wahnvorstellungen« hielt, in
denen er fiir den Phánomenalismus eine Lanze brach. Er ist iiber
Erwarten erhört worden. Die »Materie« der Physiker existiert
nicht mehr; an ihrer Stelle haben die Phánomene in der Raum-
Zeit, deren Struktur die nach-Einstein’schen Physiker erforschen,
hegonnen, sich in höchst launenhafter Weise zu gebárden, was
sogar speziell mathematisch geschulte Physiker zu Neigungen ver-
lcitet hat, »den freien Willen« durch das feinmaschige Netz der
photographischen Beobachtungsmethoden hereinschliipfen zu las-
sen. Es ist daher fortgesetzte Kritik der wissenschaftlichen Grund-
yoraussetzungen und Aufgaben vonnöten. Die Zeichen deuten
darauf hin, dass die Lehrtátigkeit, die Lagerborg mit eleganter
beredsamkeit und leicht getragener Gelehrsamkeit ausíibte, im
philosophischen Denken in Finnland Spuren hinterlassen hat.
Wenn der gegenwártige Krieg dereinst zu Ende sein wird, wird
sicherlich eine neue Generation die Kritik sowohl der traditionel-
len wie der wissenschaftlichen Wahnvorstellungen fortsetzen.
Jíinger als Lagerborg und mehr methodisch erkenntniskritisch
vcranlagt ist Eino Kaila (Dozent der Philosophie an der Staats-
nruversitát 1919, Professor an der finnischen Universitát in Turku
(Abo) 1921, an der Staatsuniversitát seit 1931), gleichfalls tátig
auf dem Gebiete sowohl der Psychologie wie der allgemeinen Phi-
losophie. Auch von Kaila als intellektueller Persönlichkeit geht
eigenartiger Reiz aus. Er besitzt eine ungewöhnliche Belesen-
heit und verfiigt im Gegensatz zu den iibrigen Philosophen, die in
Hnnland gewirkt haben, iiber eigene Erfahrung in psychologischer
Experimentalforschung und als Erkenntniskritiker und -theoreti-
ker iiber eine logistisch-mathematische Ausbildung, die seiner Dar-
stellung theoretischer Fragen ein besonderes Gewicht verleiht. Er
lst sich dessen auch sehr wohl bewusst. Seine Schriften sind durch
^ne selbstbewusste und straffe Haltung gekennzeichnet. In den
tetzten Jahren haben sich seine Interessen immer mehr nach der
erkenntnistheoretischen Seite hin verschoben — möglicherweise