Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Blaðsíða 101
PHILOSOPHISCHE STRÖMUNGEN
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er, mit den gestalttheoretischen Begriffen additiver und nicht-
additiver Ganzheiten als Ausgangspunkt, einen Versuch der Welt-
erklárung, der nicht des Interesses entbehrt. Die additive Denk-
weise hat grosse Triumphe in der modernen Physik gefeiert, doch
entstehen ein ums andere Mal Probleme, die nicht nach den
Prinzipien der additiven Betrachtungsweise gelöst werden kön-
nen. So ist die biologische Lebenstátigkeit offenbar einigermassen
nicht-additiv. Nichts, was qualitativ ist, kann additiv erklárt
werden. Es sind dies freilich bekannte Dinge. Die Qualitáten sind
immer etwas Urspriingliches und Einfaches und Ganzes, auch
wenn ihre Voraussetzungen unterscheidbar sind. So sind etwa
unsere Empfindungen von Traulichkeit und Wárme etwas in
sich Einfaches, nicht aus Addenden Zusammengesetztes, sondern
cine neue Ganzheit. Gleicherweise verhált es sich mit der »Klang-
farbe« einer Geige. Es ist dies nicht ein konkreter »Teil« der
Tonganzheit. Nach den Definitionen Kailas sind die nicht-addi-
tiven Ganzheiten komplexe Bildungen oder Formen des Gesche-
hens, welche nicht vermittels eines einfachen Superpositionsprin-
zips aus Komponenten zusammengesetzt werden können, die in
Hinsicht auf ihr Wirkungsgesetz von einander unabhángig sind.
Durch Analyse zahlreicher physikalischer Beispiele hat Kaila vor-
erst gezeigt, dass die Begriffsbildung Köhlers inexakt sei, dass es
sowohl konkrete wie abstrakte »Summen« gebe (der Organismus
ist z. B. nach der modernen Erblichkeitslehre eine abstrakte »Sum-
nie« von Erbfaktoren, Genen), und dass die letzteren in Struktu-
ren mit fixierten und nicht fixierten Vektortrágern eingeteilt wer-
den können. In den Beitrágen wie auch in der Zusammenfassung
seiner Spezialuntersuchungen, die er 1929 unter dem Titel Ny-
kyinen Maailmankásitys (Die Weltauffassung der Gegenwart)
veröffentlichte, macht er von der Unterscheidung zwischen addi-
ttven und nicht-additiven Ganzheiten Gebrauch. Es ist ihm nám-
lich daran gelegen zu zeigen, dass der Verlauf der Natur und
des Lebens in einem gewissen Sinne Einheitlichkeit aufweisen.
Der alte Materiebegriff ist unter den Analysen der Atomforscher
verdunstet; auch die »Seele« ist so luftig geworden, dass man
sie unmöglich festhalten kann, die uniibersteigbare Kluft zwi-
schen »Seele« und »Körper« ist von den Totengrábern der ra-
tionalistischen Theorien verschíittet worden. Die Wirklichkeit
scheint nunmehr die eine und íiberall »gleiche« zu sein, nicht
»Materie« und auch nicht »Geist«, sondern etwas Drittes, das
etliches von den Eigenschaften sowohl des »Geistes« wie der »Ma-
terie« hat.