Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Blaðsíða 170
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LE NORD
nierenden Weise Sagen erzahlen zu können. Ebenso trocken
und sachlich, wie er in seinen rein historischen Werken war
(der íslendinga Saga und der Saga von Hákon Hákonarson),
ebenso hinreissend und lebensvoll muss er gewesen sein, wenn er
eine volkstiimliche Saga oder ein von ihm selbst gedichtetes Lied
míindlich vortrug. Hiervon zeugt sein Besuch bei dem norwegi-
schen König Magnús Hákonarson im Jahre 1263. Sturla kam zum
König Magnús in Bergen, wurde aber von diesem sehr ungnádig
aufgenommen. Doch durfte er mit dem König und der Königin
an einer Seereise lángs der Kiiste teilnehmen. Als man abends auf
dem Schiffe Unterhaltung wúnschte, trug Sturla eine Saga vom
Riesenweibe Hulð vor. Alles scharte sich um ihn, und niemand
hatte nach ihrer aller Ansicht diese Saga jemals vorher so schön
erzáhlen hören. Die Königin, die das Gedránge um Sturla wahr-
genommen hatte, verlangte die Saga zu hören, und am folgen-
den Tage durfte Sturla diese vor dem König und der Königin
wiederholen. Auch jetzt machte Sturla mit seiner Erzáhlung
Eindruck und, vom Erfolge ermutigt, schlug er vor, auch ein
Gedicht úber den König und eines úber den Vater des Königs
hersagen zu dúrfen. Das Gedicht úber den König wurde sogleich
vorgetragen, das andere Gedicht aber bis zum Abend aufge-
hoben. Als er schliesslich auch dieses vorgetragen hatte, herrschte
zwischen dem König und Sturla das beste Einvernehmen, und
der König sagte: »Wahrlich, du dichtest ja besser als der Papst!«
Ihre kúnstlerische und literarische Begabung hatten die Stur-
lungen wahrscheinlich zum grössten Teil von Sturla ÞÓrðarsons
Gemahlin Guðný Boðvarsdóttir, die von dem berúhmten Dichter
und Háuptling Egill Skallagrímsson abstammte. Den Ehrgeiz, die
Machtgier und die Prozessucht hatten sie sicher von Sturla
ÞÓrðarson (dem »Hvamm-Sturla«) selbst geerbt, der rúcksichts-
los jede Gelegenheit ausnutzte, sein »goðorð< (Herrschaftsgebiet)
auf West-Island zu vergrössern und durch Prozesse sein Ver-
mögen zu vermehren.
Zu jener Zeit gab es auf Island auch andere máchtige Fami-
lien. Den Charakter eines blutigen Zeitalters erhielt die Stur-
lungen-Zeit nicht nur durch die Uneinigkeit, die zwischen den
eigenen Mitgliedern des Sturlungengeschlechts herrschte, sondern
auch durch die Machtstreitigkeiten dieser Familie mit anderen
fúhrenden Familien auf Island.
Im Súden Islands herrschte Ende des 12. Jahrhunderts die
máchtige Oddi-Familie (die »Oddaverjar«), deren berúhmtester