Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Side 95
PHILOSOPHISCHE STRÖMUNGEN
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Bewusstsein vorliegt, gegeben sind. Der Begriff »Seele« ist dem
Psychologen, ganz wie der Begriff »Leben« dem Biologen, nur
ein Name fiir die Totalitát der Erscheinungen, in denen sie sich
kundgibt.
Als radikaler Dozent an der finnischen Staats-Universitát
wáhrend vierzig Semestern — von 1929 an wirkt Lagerborg als
Nachfolger Westermarcks als Professor der Philosophie an der
Akademie zu Ábo — iibte er einen anregenden und fruchtbaren
Einfluss auf viele Generationen junger Intelligenz in Finnland
aus. Immer wieder hat er — und er tut es heute noch — in talent-
voller Weise neuen philosophischen und psychologischen Rich-
tungen Eingang verschafft, ein geistreicher Schriftsteller mit
grossem Publikum und dazu ein ehrgeiziger und gewissenhafter
Denker, dessen Tiefsinn oft im Schatten seiner Spiritualitát ver-
korgen blieb.
Pawlow und die Reflexologie, ’Watson und der Behavioris-
mus, die Psychoanalyse, Janet, die Phánomenologie, diese und
andere Richtungen sind vornehmlich durch sein lebendiges und
Uíannhaftes, bisweilen herausfordernd geistreiches Schrifttum
dem finnischen Publikum bekannt geworden. Alle Richtungen,
die besonders das Somatische, Eingeweidereaktionen, Dríisen-
absonderungen betonten, haben ihn zu Betrachtung und Analyse
angeregt. Die Kunst als Rausch, die Inspiration als Eingeweide-
j'eaktion sind einige radikale Formulierungen seiner Thesen. Er
hat aber auch einnehmend schön iiber die Religion der kleinen
K-inder geschrieben, und in Wirklichkeit macht ihm ein tiefreli-
gióser oder, vielmehr, Frömmigkeits-Komplex zu schaffen, dessen
grúndliche Analysierung dereinst ein ergiebiges Studium bilden
kann.
Rolf Lagerborg hat sich aber im finnischen öffentlichen Le-
hen nicht etwa nur auf dem psychologischen Gebiete eingesetzt.
Ej ist der geborene Philosoph, Philosoph mit Leib und Seele, aus
^inem tiefen Trieb heraus. Er ist es sowohl im populáren Sinne
cles Wortes, als einer, der iiber die Lebensrátsel nachsinnt, wie
auch in der strikten Bedeutung des Erkenntnistheoretikers und
Logikers, als Uberpriifer der Yoraussetzungen der Wissenschaf-
ten. Er hat iiber die metaphysische Intuition und französische
Eebensanschauung, iiber die platonische Liebe und Moral im
w erden geschrieben (in einem Beitrag in dem ominösen Preis-
’Vettbewerb, den ein schwedischer Verlag vor einigen Jahren
ausschrieb). In einer kleinen Schrift, die 1920 in einem auch da-