Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Side 100
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LE NORD
bleibt, obwohl er in einer grösseren und der Veránderung unter-
worfenen Totalitát enthalten ist. Diese biologische Forderung
auf adáquate Wahrnehmungen bedeutet natiirlich nicht, dass eine
einzelne Gestalt im Bewusstsein nicht solche Qualitáten enthal-
ten diirfte, die nicht ihr Entsprechendes im Reiz selber hátten,
was somit der »subjektive Zusatz« der Psyche zum peripherischen
Reiz wáre — wenn bloss die Reizkonfiguration, so lange sie
unverándert bleibt, stets den gleichen »subjektiven Zusatz« ver-
anlasst. Im Gegenteil legt Kaila dar, dass solche Zusátze statt-
finden und sogar charakteristische Kennzeichen fiir bestimmte
typische Reizkomplexe sind. U. a. enthált der Eindruck von Be-
wegung stets einen solchen spezifischen »Zusatz«, wie Kaila in
einer interessanten Auseinandersetzung mit Wertheimers Theorie
des Bewegungseindruckes zeigt. Durch die Schlussfolgerungen
Kailas wird eine wesentliche Behauptung der physikalischen Ge-
stalttheorie zu Fall gebracht.
In der Polemik gegen die Gestalttheorie macht Kaila geltend,
dass die »Gestalten« Ergebnisse der allmáhlich vor sich gehenden
Anpassungen des zentralen Nervensystems seien. Sie sind Ge-
schöpfe der Erfahrung. Sie haben eine Geschichte. Typische Reiz-
konfigurationen hinterlassen »Komplexresiduen«, die gestaltende
Wirkungen haben. Die Psychologie muss daher diese Gestalt-
qualitáten und die ihnen entsprechenden Komplexresiduen ent-
decken und klassifizieren. Das Arbeitsfeld der Psychologie wird
grösser, ihre Aufgaben werden dankbarer als zuvor.
Kaila hat auch andere gewichtige Einwiirfe gegen die Lehre
von den physischen Gestalten gerichtet und Mangel an Bestimmt-
heit und Exaktheit in mehreren der Sátze nachgewiesen, mit
denen die Berliner Schule umgeht. Er ist aber auf der allgemeinen
Grundlage der Gestalttheorie verblieben und hat eine griindliche
Polemik gegen die maschinentheoretische Assoziationsauffassung
gefiihrt, was besonders durch seine Darlegungen in dem grossen
Werke Persoonallisuus beleuchtet wird, in welchem imponie-
rende Kenntnisse der Organisation des Nervensystems, der Erb-
lichkeitsverháltnisse, der Natur der Störungen in höheren Ge-
hirnzentren und der Dynamik des Persönlichkeitslebens iiberhaupt
gesammelt sind. Dieses gewaltige Material, zu dem die neuesten
Entdeckungen europáischer Forschung das Gerippe geliefert hat-
ten, ist zu einer einheitlichen, durch Frische und Freigebigkeit
des Gemiites geprágten Darstellung zusammengegossen.
In Beitrage zu einer synthetischen Philosophie, in denen Kaila
seine Kritik gewisser Köhlerscher Begriffe erneuert, unternimmt