Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Side 105
PHILOSOPHISCHE STRÖMUNGEN
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1926 (Wert und Wahrheit) fiihrt er eine ausserst anregende Er-
örterung iiber die Hauptfragen der Erkenntnistheorie und Wert-
philosophie durch und verteidigt mit grossem Geschick eine
idealistische Grundanschauung von heutzutage recht ungewöhn-
lichem Charakter.
Die Auffassung Salomaas vom Wahrheitsbegriff stimmt mit
der Thomas von Aquino’s iiberein; die Wahrheit bezweckt stets
eine Ubereinstimmung zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit. Die
Wahrheit ist adaequatio intellectus et rei; sie ist transzendent und
gilt in Hinsicht auf eine Wirklichkeit ausserhalb der Erlebnis-
welt des Subjektes. Nach den Folgerungen Salomaas setzt alle
wissenschaftliche Tatigkeit einen vom Erkenntnisakt unabhangi-
gen Zustand voraus, eine Funktion, etwas Wirkliches, etwas
Transzendentes. Diese common sense-Auffassung bekráftigt der
finnische Philosoph mit scharfsinnigen und bestechenden Ana-
lysen unseres Yerhaltens de facto in solchen Lagen, da wir eine
wissenschaftliche Wahrheit suchen oder ihr auf die Spur kom-
men. Die Wahrheit ist nicht subjektiv; auch diejenigen Wahr-
heiten, die am ausgeprágtesten individuell erscheinen, haben eine
objektive Grundlage. Sie sind nur unter der Voraussetzung mög-
lich, dass die Wahrheit ihrer Natur nach unbedingt ist.
Mehrere Anhánger eines transzendenten Wahrheitsbegriffes
verfechten die Ansicht, es sei eine reine Fiktion von Wahrheiten
zu sprechen, die »an und fiir sich« gálten, unabhángig davon, ob
sie jemand erfasse oder nicht. Salomaa gehört nun zum radi-
kalsten Fliigel des entgegengesetzten Lagers. Er sieht an der Kri-
tik der positivistischen Theorien vorbei oder — wie man will —
durch sie hindurch und hált daran fest, dass man sagen könne,
das spezifische Gewicht von Wasserstoff beispielsweise sei 0,0695
auch zu dem Zeitpunkt gewesen, wo noch kein Forscher diesen
Sachverhalt festgestellt hátte. In Obereinstimmung mit dieser
Grundanschauung nimmt Salomaa an, dass es Wahrheiten gebe,
die noch niemand an den Tag gebracht habe, und möglicherweise
Wahrheiten, die iiber den Grenzen des menschlichen Auffassungs-
vermögens liegen.
_ Den Weg zur Wahrheit, die Frage des »Erfassens« der Wahr-
heit, wie der finnische Ausdruck heisst, macht Salomaa zum Ge-
genstand einer áhnlichen Untersuchung wie den Wahrheitsbe-
griff. Hinsichtlich Urteil und Schlussfolgerungsakt zeigt er auf,
dass diese iiber den subjektiven Bewusstseinszustand hinaus stre-
ben. Das Urteil strebt danach, sich dem wirklichen Sachverhalt
anzupassen. Der richtige Sachverhalt ist natiirlich eine Zusam-