Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Page 178
LE NORD
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Auf diese schándliche 'Weise wurde Islands grösster Geschicht-
schreiber getötet.
Wie bereits hervorgehoben wurde, ist es merkwiirdig, dass die
islándischen Geschichtswerke des 13. Jahrhunderts nur so spár-
liche Angaben iiber Snorris schriftstellerische Tátigkeit enthalten.
Wir sind iiber seine politische Laufbahn, sein Auftreten auf dem
Althing, seine Reisen nach Norwegen usw. ziemlich gut unter-
richtet; wenn wir uns aber lediglich auf Grund dieser Quellen
ein Bild von Snorri machen sollten, so wiirde das Ergebnis das
Bild eines hochbegabten und ehrgeizigen islándischen Politikers
sein, der etwas Abenteuerliches und Flatterhaftes in seinem ¥e-
sen hatte. Das Bild des Schriftstellers und Dichters wiirden wir
nur dunkel erkennen können.
Das ganze Leben Snorris war ein einziger Kampf um Macht
und Ehre, und trotzdem hatte er noch Zeit fiir eine umfassende
schriftstellerische Tátigkeit. Seine drei grossen Hauptarbeiten sind
die Edda, die Saga von Olaf dem Heiligen und die Heimskringla.
Hierzu muss wahrscheinlich auch noch die Saga von Egill
Skallagrímsson gerechnet werden (nach den neuen Untersuchun-
gen von SigurSur Nordal). Die Edda, die aus drei Teilen: Götter-
lehre, Dichtersprache und Versarten (oder Metrik) besteht, war
eigentlich ein Lehrbuch der Dichtkunst. Aber die altnordische
Dichtkunst setzte die Kenntnis der heidnischen Mythologie vor-
aus, denn die Dichter entnahmen ihre Bilder und Ausdruckswei-
sen den alten Mythen. Niemand konnte ein guter Dichter sein,
ohne die Mythologie und die religiöse Vorstellungswelt der Váter
von Grund aus zu kennen. Deshalb hielt es Snorri fiir nötig, im
Anfang seiner Edda seine Zeitgenossen in der altnordischen Göt-
terlehre zu unterrichten.
Es ist möglich, dass Snorri dieses Werk erst nach seiner Reise
nach Norwegen (1218—20) begonnen hat; man weiss jedenfalls,
dass der letzte Teil desselben, die »Liste iiber die Versmasse«
(Háttatal), kurz nach Snorris Riickkehr nach Island gedichtet
wurde. Wie kiirzlich von Elias Wessén (im Corpus Codicum Is-
landicorum XIV, 1940) hervorgehoben worden ist, hat Snorri
wahrscheinlich mit der Metrik begonnen, ist dann zur Sprache
der Skaldenpoesie (Skáldskaparmál) iibergegangen und hat zu-
letzt den Teil (Gylfaginning) geschrieben, der von der altnordi-