Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Page 180
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LE NORD
eines Kiinstlers. »Alles, was er mit seinen Hánden schuf, wurde
Kunst,« sagt einer seiner Zeitgenossen. Aber auch das, was sein
beweglicher Gedanke in Worte fasste, erreichte eine kiinstlerische
Höhe. Man hat das Gefiihl, Snorri selbst miisste sich an der Leich-
tigkeit ergötzt haben, mit der er sich ausdriickte, sei es nun bei
der Wiedergabe einer alten, burlesken Mythe der Edda (vgl.
z. B. ÞÓrs Fahrt nach Útgarðr), sei es bei der Schilderung der
Thingversammlung der Svíar zu Uppsala. In dem Gedichte Hát-
tatal spielt er in iiberlegener Weise mit Worten und Wortzusam-
mensetzungen, und in Strophe 95 ruft er selbstbewusst aus: »Wo
unter des Himmels Feste ist bekannt, dass friiher schon einmal
ein Lobgesang iiber einen freigebigen Mann in einer trefflicheren
Form gedichtet ward als der meinigen?«
Uber Snorris Darstellungskunst diirfen wir aber seine kriti-
sche Einstellung zu dem von ihm bearbeiteten Material nicht ver-
gessen. In der Vorrede zur Saga von Olaf dem Heiligen hat er
die Grundsátze klar angegeben, die ihn bei der Behandlung des-
sen, was man damals als historische Quellen ansah, geleitet haben.
Was er dort iiber den Wert der miindlichen Uberlieferung aus-
spricht, kann noch heute fiir alle Forschung auf dem Gebiete der
álteren nordischen Geschichte als vollgiiltig anerkannt werden.
In der Praxis konnte er oft von diesen Grundsátzen abweichen,
es wáre aber falsch zu behaupten, Snorri hátte nicht gewusst, was
zu einer historisch-kritischen Methode gehörte.
Um richtig wiirdigen zu können, was Snorri fiir unsere Kennt-
nis der nordischen Geschichte bedeutet, können wir das Gedan-
kenexperiment machen, dass alles, was er geschrieben hat, ver-
loren gegangen, oder dass nichts von dem, was sein máchtiges
Gehirn an Wissen enthielt, jemals niedergeschrieben worden wáre.
Wo wáren wir dann? Was wiissten wir von nordischer Mytho-
logie, von der alten Dichtkunst, von den schwedischen Ynglin-
gen und von der norwegischen Geschichte der Wikingerzeit und
des friihen Mittelalters? Vor der Tatsache, dass Snorri uns die
nordische Vorzeit geschenkt hat in einer grossen und prachtvol-
len Darstellung des Lebens und Denkens unserer Váter und der
Taten unserer Könige, verstummt jede Kritik. Statt dessen erfiillt
uns tiefste Dankbarkeit, und wir huldigen seinem Werk in einer
Zeit, wo die Erinnerung an die nordische Vergangenheit uns iiber
die triiben Stunden und Sorgen der Gegenwart hinweghelfen
kann.