Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1942, Page 194
DIE ENTWICKLUNG DES REISEVERKEHRS
UND DER VERKEHRSMITTEL IN FINNLAND
Von Dr. Ragnar Numelin,
Sektionschef im finnischen Aussenministerium.
ES wird im allgemeinen angenommen, dass die Anfange
des Fremdenverkehrs auf die zweite Hálfte des vergan-
genen Jahrhunderts zuriickgehen. Zu jener Zeit waren in
dem verháltnismássig ruhigen Zustande Europas, in dem von
neuem wachsenden Wohlstande und in der raschen Entwicklung
der Verkehrsmittel die Voraussetzungen auch fur lángere Reisen
gegeben. Die Verbesserung der Verkehrsmittel trug auch zu einer
Erweiterung des geistigen Horizonts der Völker bei und erweckte
das Verlangen, das eigene Land und die Lánder anderer Völker
zu sehen und kennen zu lernen.
Hat denn dieser Fremdenverkehr keine friiheren Vorláufer
gehabt? Vielleicht. Denn der Reiseverkehr verdankt sein Ent-
stehen nicht nur besseren Verkehrsmitteln und einem allgemeinen
Wissensdrang, sondern er entspringt auch dem Bediirfnis, sich
von den sozialen Banden des Alltags freizumachen. Das Reisen
ist eine Reaktion gegen die Eingeschlossenheit, die Beschránkung,
das tágliche Einerlei. Schon im Gefiihl einer spontanen Bewegung
liegt ein Bewusstsein von etwas Verlockendem und Lebensbe-
jahendem, und hierin liegt die Psychologie des Reisens verbor-
gen. Man könnte sich vielleicht vorstellen, dass die »Rastlosig-
keit« des Mittelalters — um ein historisches Beispiel zu nennen
— ein gewisses Gegenstiick zum Reiseverkehr spáterer Epochen
bildet. Der Rhythmus des Verkehrs ist freilich heutzutage ein
anderer als ehemals. Der moderne Reiseverkehr ist mit Momen-
ten sehr weltlichen Charakters verbunden. Finden wir aber nicht
sogar bei den 'Wallfahrten solche Momente? Die mittelalterliche
Rastlosigkeit war wohl in ihrem tiefsten Innern nicht nur eine
Ausserung religiöser Inbrunst, sondern der Ausdruck einer Wan-
derlust und eines Dranges nach Abenteuern, welche die Kirche
geschickt auszunutzen und zu leiten verstand, wenn nicht ganz
einfach Erwerbsinteressen und politischer Ehrgeiz mit hinein-
spielten.
»Welche Zaubermacht erhielt nicht das Kreuz, das alle Fes-
seln löste, das den Leibeigenen befreite, das das Joch den Schul-
tern des Schuldigen enthob, das dem Tatkráftigen so herrliche