Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Blaðsíða 2
Dieses alte Yerhaltnis der Deutschen zu Island wird nicht zerhrochen durch die
deutsche Revolution und ihre geistige Richtung: Es wird im Gegenteil dadurch
um ein Yielfaches gesteigert. Diese deutsche Umwálzung ist berufen, im Bereich
der geistigen Erneuerung manche Sehnsiichte zu erfiillen, die sich hei vielen Deut-
schen um das Bild und das Erlebnis Island gesammelt haben. Denn so wenig un-
ser Verháltnis zu Island jemals eine antiquarische Angelegenheit gewesen ist, so
wenig hat diese Revolution etwas zu tun mit einem aus Theorie und Doktrinen
entstandenen Unternehmen. Wir könnten unsere Verbundenheit mit Island ge-
schichtlich hegriinden: Von den ersten islándischen Geistlichen des 11. Jahrhun-
derts, die ihre Aushildung und Weihe in Deutschland erhielten, iiher die Hanse,
die dem politisch zerfallenen Land jahrhundertelang ein wirtschaftliches Riick-
grat gab, die Reformation, die direkt von Deutschland nach Island getragen
wurde und viele neue geistige Kráfte löste, die Auflockerung der islándischen
Literatur durch die Einfliisse der deutschen Romantik, den Beistand, den Island
im Kampf um seine Selbstándigkeit in der zweiten Hálfte des 19. Jahrhunderts
in Deutschland fand bis zur Auswirkung der im Jahre 1918 errungenen politi-
schen Selbstándigkeit in einem allseitigen Anwachsen der deutsch-islándischen
Beziehungen. Wir sehen und ehren diese geschichtlichen Bindungen, aber wir sind
froh, darauf verzichten zu können, unsere Sympathien fiir Island auf den trocke-
nen Stamm geschichtlicher Vergangenheit zu pfropfen. Wir besitzen heute das
GröBere und Stárkere: das groöe Erlebnis einer geschichteschaffenden Gegen-
wart, in der eine neue Welt von Grund auf sich gestalten will, die uns mit
starken Stööen nach Island weist. Vor dem, was da geschieht, versagen wie vor
jeder Neugeburt alle iiberkommenen Begriffe und Zeichen, alle geschichtlichen
Vergleiche und Erklárungen. Das erschwert das Verstándnis und die Verstándi-
gung mit den Auöenstehenden. Mit Verstándigung allein aber ist bei einer solch
neuen geistigen Zielsetzung auch wenig getan, ebensowenig wie mit der gegen-
seitigen Versicherimg gegenseitiger geschichtlicher Beziehungen. In einer neu-
erstehenden Welt kann eine neue Gemeinsamkeit nur durch das gemeinsame Er-
griffensein von dem gleichen Geist gestiftet werden. Um diesen Geist geht es uns,
nicht um Staatsformen, nicht um materielle Vorteile. Es geht um einen neuen
Glauben, um den alle Völker Europas seit langem verzweifelt gekámpft haben.
Wir meinen, dafi wir uns auf diesem neuen geistigen Wege mit den nordisclien
Völkern am ehesten begegnen miiJBten. Denn der Geist des neuen Deutschland hat
sich vielfach entziindet und sucht sich dauernd neu zu bestátigen an Natur, Volk
und Geist des Nordens. Oft zwar stehen dahinter Wunschbilder, die der Wirklich-
keit nicht entsprechen. Man iibersieht, daö die nordischen Lánder nicht weniger
in den Strudel des inneren europáischen Verfalls hineingezogen worden sind als
die anderen Teile Europas. Wer Island kennt, dem mag das gerade da am deut-
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