Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Blaðsíða 4
den Menschen da ist: die Landschaft. Die prunkhafte Bláue des Mittellándischen
Meeres, die sommerlange blaue Leere des siidlichen Himmels, die geile Úppigkeit
schnellspriefienden Gewáchses — all diese Herrlichkeit des Súdens, die kennen-
gelernt zu haben einst in Deutschland zu den Attributen gesellschaftlicher Bil-
dung gehörte, vermag uns nicht mehr zu blenden. Wir mögen sie genieöen zu kur-
zem Rausch, aber unser Herz geht auf Wanderschaft in den langsamen und záhen
Wuchs der schwedischen Wálder, durch das Halbdunkel norwegischer Fjorde,
uber Islands schwergewölbte Eisfelder oder durch die silbernen Sommernáchte
seiner Hochheiden. In diesem von einem graugrunen Meer bespúlten Ring nor-
discher Landschaft wird Island heute manchen Deutschen vielleicht am stárksten
fesseln: Es ist von allen germanischen Lándern das dunkelste und das hellste, das
weiteste und das strengste, das zauberhafteste an Farbe und das kargste an
Wuchs, es ist das einsamste und trotzigste, in ihm gáren noch am máchtigsten
die Urgewalten der Erde, Wasser und Feuer, Eis und Sturm, und doch ist keine
Landschaft so klar gegliedert, so baumeisterlich gefúgt wie diese. Wenn je Men-
schen die Welt als kámpferische Auseinandersetzung und als Wille zur Form er-
leben, so zeigt Island ihnen solches Dasein mit der ungeheuren Eindringlichkeit
gleichgespannter Natur. Es ist ein Land, das nicht jeder ertrágt und das den búr-
gerlichen GenieBer einer Sommerreise schwer enttáuschen kann. Es gehört die
gleichgewichtige Kraft und herbe Lust einer Generation dazu, wie sie heute in
Deutschland sich durchkámpft.
Schwerer als die Natur ist das Menschliche zu fassen, obwohl es ganz aus dieser
hervorgeht. Es wandelt seine Formen von Jahrhundert zu Jahxhundert, und es
ist dauernd den Gefahren der Verderbnis ausgesetzt. Doch durch allen Wandel
und allen Auf- und Niedergang des islándischen Menschen blickt einen das ewige
Antlitz des Islánders an. Es ist das gleiche, ob man es auf der abgeschiedensten
Inselspitze oder im Trubel einer festlándischen GroBstadt entdeckt. Es ist darin
die Einsamkeit islándischer Bauemhöfe, das Dunkel langer Winternáchte und
die betörende Helle einer islándischen Frúhlingsnacht, der selbstherrliche Blick
úber unbeschránkte Weiten báuerlichen Besitzes und die verhaltene Regsamkeit
eines in die Einsamkeit verSchlagenen, reich ausgestatteten Geistes. Es ist auch
ein Gleiches darin mit dem Gesicht des áltesten Vorfahren, der einst den ersten
Hof auf Island baute, nur weicher scheinen die Zúge oft geworden, manchmal so-
gar bis zur Unkenntlichkeit weich. Doch das Gesicht eines ganzen Volkes kann
sich wieder hárten — entscheidend ist, daB der Kern unzerstört ist, daB noch hin-
ter jedem Gesicht etwas hegt von der Bestimmung eines Volkes und von dem Be-
wuBtsein seiner Art. Dieses BewuBtsein aber ist den Islándern nie verloren ge-
gangen. Es hat ihnen durch ihre schlimmsten Zeiten hindurchgeholfen, und es ist
fúr uns immer etwas Ergreifendes gewesen, wie mitten in der Scheinwelt der un-
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