Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Blaðsíða 8
erforderlich ist, ohne alles falsche oder romantische Pathos, so gehört dazu auch
noch etwas Wichtiges: Milieu und Landschaft werden als bekannt vorausgesetzt.
Die Zuhörer kannten genau nicht nur die völkische Lebensart, wenn man so sagen
darf, sondern sie kannten jede Gegend, ja oft jeden Stein auf dem Wege des Ge-
schehens. Die gigantische Landschaft Islands steht vor dem geistigen Auge des
Zuhörers und steigert die Wirkung der schlichten Erzahlung ins Erhabene. Dar-
um gehören zu den Ausgaben der Sagas unbedingt gute Bilder. Úbrigens erscheint
die vulkanische, halb arktische Natur Islands auch als Hintergrund mancher
Edda-Lieder.
Der Einleitungsband zur ,,Thule“-Sammlimg des Diederichs-Verlages ver-
sucht Milieu und Landschaft zu schildern, aber fiir die meisten deutschen Leser
diirfte dies nicht ausreichen. — Der Gedanke an die Verfilmung der Sagas liegt
sehr nahe, — aber wird ein Film jemals entsprechende kiinstlerische Höhe erlan-
gen können ? Vielleicht bringt das 20. Jahrhundert uns doch ein wirklich nordi-
sches Theater, ohne die Úberschwenglichkeit und ÁuBerlichkeit des 19. Jahrhun-
derts mit allen siidlichen, östlichen und westlichen Einfliissen. Bis dahin haben
wir vielleicht auch die Sprecher, welche die Sprache der Sagas und auch der Edda
rhythmisch, klanglich und inhaltlich stilecht zu gestalten wissen, — denn die bis-
lang herrschende Sprechweise hysterischer Romantik steht ganz im Gegensatz zu
dieser herben Kunst des Wortes.
Es geht hier nicht nur darum, das Ererbte zu erwerben, „um es zu besitzen“,
sondern es geht letztes Endes um die gesamte kiinstlerische und weltanschauliche
Richtung des 20. Jahrhunderts schlechthin. Wir Nordlander wollen an keinen
„Untergang des Abendlandes“ glauben. Uns scheint die nordische Kultur noch
nicht die eigentliche Reife erlangt zu haben. Vor dem herannahenden Mittelalter
gelingt es, die Grundlagen nach Island zu retten. Seither schien die Entwicklung
unterbrochen. Auf den Grundlagen des 13. Jahrhunderts in Island wollen wir
unsere Kimst und Kultur fortsetzen, nicht nur auf dem Gebiete der Literatur,
sondern auf allen Gebieten, in allen Kiinsten und in der gesamten geistigen Hal-
tung. — AuJler in der Literatur finden wir z. B. in Island musikalische Keime von
höchster Eigenart, Volksmusik von einer Herbheit, wie sie in der europaischen
Tonkunst bisher nicht zum Ausdruck kam, Quintengesange von zwei Mánner-
stimmen und akzentschwere Taktwechsellieder, die den Zusammenhang mit der
seit der Wikingerzeit kaum veránderten Sprache Islands nicht verleugnen. Mufi
doch die Geistigkeit unweigerlich in jedem seelischen Ausdruck des Volkes gleich
geartet sein. Die kulturellen Grundlagen sind in Island alle nicht nur historisch
uberliefert, sondern lebendig, keimend und entwicklungsfáhig erhalten.
In dem vorhin erwáhnten Aufsatz schreibt Josef Diinninger auch: „Dies ist die
Tragik Islands, wie sie in der Weltgeschichte kaum ein Gegenbeispiel findet: daB
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