Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Side 22
Der Skalde Konnak
Von Wolfgang Mohr
(Fortsetzung aus Heft 1)
Mit den letzten Beispielen sind wir schon tief in Fragen des Strophenbaus
hineingeraten und haben eine — allerdings bezeichnende — Ausnahme vorweg-
genommen. Úberbhcken wir nun in Kiirze andere Typen des Strophenbaus. Es
kommt mir weniger darauf an, den Parallelismus aufzuweisen, der zwischen ein-
zelnen Teilen (Kenningar, Schaltsatzen, Verben) der Halbstrophen besteht; ihn
findet der Leser des Urtextes auf den ersten Blick heraus. Ich frage vielmehr
danach, wie sich der Sinn des einen Helmings zu dem des anderen verhalt. Nur
wenige Strophen scheinen in dieser Hinsicht ganz ungestaltet zu sein. Eiir die bei-
den Hálften vonV. 22 wird die Zusammengehörigkeit von allen bestritten. Eraglich
erscheint mir auch die Zusammengehörigkeit der Hálften von V. 51: „Oft muB
ich mich am Mantelzipfel trocknen — deshalb laB den Mistkárrner auf seinen
Platz schleichen.“ Fiir Einheit spricht die parallele Lagerung der Schaltsátze.
Die primitivste Form der Aufteilung des Sinnes auf beide Strophenhálften
ist so, daB die andere Hálfte nur eine Fortsetzung, eine Erláuterung, eine náhere
Bestimmung der ersten darstellt: V. 26. „Ich ging zum Kampfe... / mein
Schwert brach“; V. 4. „Nicht hob sie die Augen weg von mir, / als sie zu mir
hin sah“; V. 5. „Einen Fehler sagte sie, an mir zu erkennen, / sie sagte...“
Derartige Fálle sind nicht sehr zahlreich bei Kormak. Ebenso selten stehen sich
zwei inhaltlich fast gleiche Halbstrophen gegeniiber: V. 32. „Ich mag gar nicht
(an ihre Verheiratung) denken, / mir vergeht das Lachen, wenn ich dran denke.“
Meist stellen sich die Halbstrophen gegensátzlicher zueinander, so sehr háufig
in der Form von Situation und Folgerung: V. 1. „Ich verliebte mich in sie, als
ich ihren FuB sah, / der wird mich noch einmal in Gefahr bringen“; V. 23. „So
ist sie mir geraubt... / daB ihr Erringer mir zur Beute werde“; V. 53. „Er fuch-
telte mit dem Schwerte, / doch meine Kleider genúgten, um seinen Sturm abzu-
halten“. Man spiirt, daB der Hauptnachdruck auf der zweiten Strophenhálfte
liegt (Achtergewicht). Das wird besonders deutlich bei Strophen, die einen klar
antithetischen Bau haben; Kormak bevorzugt diese Form: V. 6. „Ich bin zwar
schwarzhaarig und bleich, / doch hab ich schon oft bei Frauen Glúck gehabt“;
V. 17. „Sie wollen sie mir verwehren, / ich werde sie aber um so mehr lieben“;
V. 24. „Mein Pferd ging bei dem scharfen Kitte fast drauf, / wár’s nur, und hátte ich
dich stattdessen!“ V. 33. „Du brauchst mir nicht zu drohen, / ich werde ihn doch
schmáhen.“ Hierhin gehören auch alle Strophen, in denen der Gedanke an Stein-
gerd und ihren feigen Mann in Gegensatz zu den Leistungen und Muhsalen des
Skalden gestellt wird. Zwanzig Strophen haben diesen antithetischen Bau, er ist
also bezeichnend fiir Kormak. Diese Tatsache liefert uns einen weiteren Zug
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