Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Qupperneq 23
zum Bilde des Dichters, zu seiner Erlebnisform: Seine szenische Vorstellungs-
kraft gleitet in die Karikatur hiniiber, seine Vergleiche ins Paradoxe, das
Gegeniiberstehn der beiden Strophenhalften drangt ihn zur Antithese. —
Es scheint mir zweifelhaft, ob alle Strophen Kormaks das sind, fur das die
Saga sie ausgibt: Improvisierte Gelegenheitsverse. Abgesehen von der inhalt-
lichen Zusammengehörigkeit von manchen Strophen zeigen sie in sich solche Ver-
schiedenheit der metrischen Form, daB man wohl einige fiir improvisiert, andere
aber f úr sorgf áltig geglattet halten muIJ. Inhaltliche Úbereinstimmung und f ormale
Ahnlichkeit sind allerdings keine sicheren Kriterien fúr Zusammengehörigkeit
der Strophen. Kormak neigt dazu, sich selbst zu zitieren, das zeigen die Strophen,
die Leben und Liebe in Gegensatz stellen, ferner die Holmgangstrophen, wahr-
scheinlich aus verschiedenen Lebenszeiten, mit ihrem gleichen Eingangeu.a.m.
Pormale Kriterien mússen hinzutreten, sind aber auch nicht immer sicher. Im-
merhin ist es auffallig, daB von den 15 Strophen, die ihrem Inhalte nach nur Ge-
legenheitsstrophen sein lcönnen, nur drei formal korrekt gebaut sind.
Mehrstrophische Form scheint mir wahrscheinlich in folgenden Fallen:
1. ERSTE LIEBE, V. 1—4. Das Gedicht setzt mit einer thematischen An-
gabe ein: Ich verliebte mich in sie. Dann wird der anschauliche Eindruck in
mehrfacher Variation wiederholt: Ich sah ihren FuB, ihre Augen. Das Anschau-
liche ist in regelmaBiger Folge unterbrochen durch persönliche Bemerkungen.
Fúr die Einheit dieser Strophengruppe spricht ihr Rúckblickcharakter: ,,Úber
mich kam starke Liebe vor kurzem.“ Mit einer einzigen Ausnahme ist die
metrische Form samtlicher 32 Zeilen korrekt. Vielleicht gehören die Strophen 5,
6 und 10 aucli noch diesem Gedichte an.
2. IHR VERLUST, V. 21 u. 23. Beide Strophen wiederholen das Thema: Bersi
hat sie mir entrissen. Sie entging mir. Beide Strophen drohen: Mein Zorn ist
ihm gewiB. Er soll mir zur Beute werden. Beide verurteilen Steingerd: Die Wan-
kelmútige. Frúher traute ich ihr. Die Form der beiden Verse ist korrekt.
3. KORMAK BRINGT DEM SKEGGI DAS SCHWERT, V. 25, 30, 31. Das
Gedicht dreht sich im Kreise. Kormak wehrt sich gegen Vorwiirfe, die man ihm
machen könnte, und beteuert wiederholt, daB er sein Bestes getan habe, nur das
Schwert habe nichts getaugt. Fúr die Zusammengehörigkeit der Strophen 30
und 31 spricht die gleiche Stellung der Anreden. In V. 25 fehlen zwei Halbreime,
sonst sind die Strophen metrisch in Ordnung.
4. KORMAKS WIKINGFAHRTEN, V. 34—39. Dies ist die gröBte Strophen-
gruppe, die wir von Kormak haben. Sie treten zu einem ,,flokkr“ zusammen,
ahnlich wie die Reisestrophen Sigvats. Auch Sigvat hat kurze Erlebnisbilder
zur Gruppe zusammengeschlossen, er bittet seinen König, die Strophen anzu-
hören, die er úber die Fahrt (nicht auf der Fahrt) gedichtethat. Kormalc hat vor
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