Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Síða 33
Malererlebnis anf Island
Von Katharina Wallner
Zwei Studienmonate in Island — das sagt sich so schön und klingt so einfach
und bedeutet doch schwere Arbeit und ein seelisches Erleben, das in seiner Wir-
kung unabsehbar ist.
Wie in jedem fremden Land, sieht man zuerst nur Oberfláche — die Probleme
bleihen verborgen. Zu viel Neues und Fremdartiges, jaUnbegreifhches bestiirmt
die Seele und láBt sie nicht zur Ruhe kommen. Form und Farbe entzúcken das
Auge — aber Sinn und Zusammenhang fehlen — die Landschaft wirkt wie Ku-
lissen, und was man da schafft, ist auch nichts anderes als Kuhssenmalerei. Es
hat keinen Zweck, nach den tieferliegenden Problemen zu suchen — aber langsam,
in dem MaBe als man sich einlebt, erschlieBen sie sich von selbst. — Ob man un-
tátig auf diesen Zeitpunkt warten sollte 1 Ich glaube es nicht. Wenn etwas das
Einleben beschleunigen kann, so ist es wohl das Erleben der Natur — und welches
Erleben wáre intensiver als die kiinstlerische Arbeit.
So ging ich mit Liebe und Geduld daran und sammelte meine Studien wie der
Zufall es brachte und war mir ganz klar darúber, daB ich vorderhand nicht wuBte,
auf was es ankam. Aber bald verwandelte sich diese abwartende Haltung in ein
Fragen, das mit jedem Tag quálender und dringender wUrde — ein sttindliches
Vergleichen mit der heimischen Landschaft oder mit bekannten Landstrichen.
AuBerdem bemtihte ich mich, dem geologischen Ursprung des Gesehenen nachzu-
gehen, klimatische Zusammenhánge und Wirkungen herauszufinden; fortwáh-
rend registrierte und verglich ich Fárbungen und Beleuchtungseffekte — Luft-
perspektive — Einwirkung der wechselnden Bewölkung — der Sonnenbestrah-
lung; ein wildes Chaos, in dessen fortwáhrendem Wechsel ich erst nach langen
Wochen die Umrisse einer GesetzmáBigkeit entdecken konnte. Nun wurde das
Studium leichter, da ich mir schon im voraus sagen konnte, wie sich das Land-
schaftsbild wáhrend der Arbeit verándern wtirde und welche Partien der Verán-
derung am stárksten unterworfen sein wtirden. Aber immer dringender wurde die
Frage nach der seltsamen unbegreiflichen Seele dieses Landes. Im Osten und
Westen, Norden und Stiden, in der Hölle der Solfataren und in der unendlichen
Milde des Mývatn, tiberall war das Land gleich fremd und sprach eine Sprache,
die ich nicht verstand, eine beunruhigende dtimonische Sprache. Mehr und mehr
verfiel ich dem rátselhaften Zauber. Stunde um Stunde muBte ich um die selt-
same islándische Seele ringen — alle anderen Interessen — ja selbst alle anderen
Gedanken versiegten. Den ktinstlerischen Ausdruck ftir dieses urweltliche Land
zu finden! Zur zwingenden Notwendigkeit war das ftir mich geworden. Ich muBte
den Bann brechen, das Rátsel lösen, um innerlich wieder zur Ruhe zu kommen.
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