Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Side 29
Die darauffolgende Woche iiber wurden alle Pferde in Fufifesseln gehalten.
Stjarna litt sehr darunter, denn sie konnte mit den Fesseln nicht so springen wie
die anderen, die daran gewöhnt waren.
Am Sonntagmorgen wurden die Pferde heimgeholt und in den Pferch getrie-
ben; man wollte zur Kirche. Der Hausherr sattelte Stjarna; jetzt sollte sie zeigen,
was sie konnte.
Damals war das Zeitalter der Bnthaltsamkeit noch nicht angebrochen. Die
Talbauern erfrischten ihre Seele mit Gottes Wort und ihre Kehle mit Wein. Die
Leute von Brekka kamen halb berauscht und angeheitert nach Hause, so daC sie
gerade zur Bettzeit noch zurechtkamen. Ihre Pferde waren verschwitzt. Der Tag
hatte den Tieren keine Ruhe gegönnt und wenig Yergniigen, weder im Pferch
noch am Pferdestein.
Stjarnas feurige Lebendigkeit war jedoch nicht erschlafft, trotz des harten
Rittes. Am Morgen war sie all ihren Gefahrten weit voraus gelaufen; bei vorriik-
kendem Tage blieb sie jedoch beim Galopp allmáhlich hinter Snaeringur zuriick.
Dies war weiter nicht verwunderlich: Snaeringur stand in der Vollkraft seiner
Jugend, war dazu ein ungewöhnlich stark gebautes und zuverlássiges Tier. Den-
noch árgerte es den Bauern von Brekka. Stjarna liatte sich anfangs so práchtig
ins Zeug gelegt.
Wáhrend der Bauer der Stute den Zaum abnahm und ihr den Hals klatschte,
meinte er: ,,Heute nacht láuft sie gewiB nicht davon, selbst wenn sie frei geht;
sie wird froh sein, Ruhe zu haben, so abgehetzt und hungrig wie sie jetzt ist.
Jetzt hat sie auch gelernt, sich mit den anderen Pferden zu vertragen.“ Alle
Pferde wurden ohne Fessel laufen gelassen.
Die Leute auf Brekka schliefen diese Nacht fest und tief; am Montag morgen
stand man spáter auf als gewöhnlich. Da war Stjarna verschwunden, und nichts
melir vermochte man seither von ihr zu erfahren. Man suchte lange und múhsam,
doch vergeblich; der Bauer ging mit bekiimmerter Stirne umher, die Jungen mit
hassen Augen.
Als die Pferde sich gewálzt und eine Weile gefressen hatten, hatte sich Stjarna
aus dem Haufen losgelöst und war zum FluC hinuntergetrabt. Er hatte fúr sie
kein groCes Hindernis gebildet, obwohl die Strömung reiCend und kalt war und
die grundlose Tiefe zwischen den Ufern durchschwommcn werden muCte. Die
steile Böschung hatte Stjarna gleichfalls nicht lange aufgehalten, trotzdem sonst
manch schrittsicheres Pferd schon vor ihr zurtickgeschreckt, der SchweiC ihm
ausgebrochen und es ins Rutschen geraten ist. Das Heimweh hatte Stjarna
schnell hinúbergetragen.
Sie hatte die Richtung ein wenig stidlicher als der Weg láuft genommen: auf
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