Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Blaðsíða 44
öffnung sprach: „ein neues Zelt zu sein, wo deutsohe und nordische Kameraden
als Eidgenossen leben können“ und wird auch weiterhin den Wunsch seines eifrigsten
Förderers, des Altprasidenten der Reichsschrifttumskammer Hans Friedrich Blunck erfiillen:
„fiir uns alle ein Herd zu sein, an dessen Flammen viele unserer jungen und
noch mehrvon ihnen, die naeh uns kommen, sich die Hánde wármen und den
Geist hell halten werden“. N. G.
Andreas Heusler 70 Jahre alt
Am 10. August 1935 ist AndreaB Heusler 70 Jahre alt geworden. Er ist der Bedeutendste
unter den Freunden und Kennem Islands, die heute Ieben. In seiner weitreichenden und viel-
seitigen wissenschaftlichen Arbeit nimmt das alte Island eine hervorragende Stelle ein. Zwar
galt diese Arbeit letzten Endes nicht so sehr Island, sondern mehr, und zwar in einem von
Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigenden MaCe, der ganzen altgermanischen Welt und ihrer vor-
christlichen Kultur. Die Bedeutung der Lebensarbeit Heuslers hegt deshalb nicht so sehr in
dem, was sie fur die Erforschung der altislándischen Kultur- und Literaturgeschichte ergibt
— jedoch ist auch dies nicht wenig —, sondern mehr in ihrer Einordnung in den groBen Zu-
sammenhang der gesamten germanischen Kulturgeschichte, die wohl niemand derart uber-
blickt wie er. Heusler sah klarer als die meisten andern, daB fúr die Erkenntnis des vorchrist-
lichen Germanentums keine Zeugnisse von einer nur annáhernd so grofien Bedeutung sind
wie das altislándische Schrifttum, sowohl Edda wie Saga. Deshalb hat er dem ernstesten
Studium dieser Quellen oft und nachdrticklich das Wort geredet. Heusler ist uns in der Liebe
zum germanischen Altertum vorangegangen und hat uns den Weg gewiesen. DaB wir heute,
wo wir die groBe Bedeutung dieses Germanentums fúr unsere Geschichte erkannt haben,
leidlich befriedigende Kenntnisse von Glauben und Gesittung unserer Vorfahren haben, das
verdanken wir zu keinem geringen Teile der Lebensarbeit Andreas Heuslers. Es sei hier auf
die kleine Sammlung seiner wichtigsten Aufsátze úber diese Fragen hingewiesen, die 1934
unter dem Titel ,Germanentum‘ bei Winter in Heidelberg ersohienen ist. Es wird wohl
lange dauem, bis diese Aufsátze durch bessere ersetzt sind. Von Heuslers Arbeiten iiber das
alte Island sind die wichtigsten ,Das Strafrecht der Islándersagas* (Lpz. 1911), ,Die Anfánge
der islándischen Saga‘ (Abh. der Berliner Akad. 1913) und das .Altialándische Elementar-
buch‘ (Heidelberg 1913, 3. Aufi. 1932). Mit Wilhelm Raniseh zusammen hat er unter dem
Titel Eddica minora die vemachlássigte Dichtung eddischer Art in den Fornaldarsögur
herausgegeben (Dortmund 1903). Dazu kommt dann seine Mitarbeit an der Sammlung Thule.
Er hat zu Genzmers Eddaúbersetzung Einleitung und Anmerkungen geschrieben und hat
die Saga vom weisen Njal (Thule Band 4) und einen Teil der Sagas in Bd. 8 (Fúnf Gesehich-
ten von Áchtem und Blutrache) tibertragen. Sie sind neben der Edda Genzmers die besten
Dbersetzungcn in dieser groBen Sammlung. Zum SchluB seien noch seine letzten groBen
Werke genannt, in denen die altislándische Dichtung ihrer Bedeutung gemáB einen hervor-
ragenden Platz einnimmt, die ,Altgermanische Dichtung* (Potsdam 1923) und der I. Band
der .Deutschen Versgeschichte' (Berlin-Leipzig 1925).
Heusler war lange Zeit Ordinarius an der Berliner Universitát. Nach dem Kriege zog er
sich in seine Vaterstadt Basel zurúck. Er ist zwar Schweizer, aber eindeutscher Schweizer,
und sein ganzes Herz gehört seinem gröBeren Vaterlande Deutschland und dem Schicksal
der germanischen Kultur.
Wir wunBchen dem Siebzigjáhrigen noch lange Feuer, Sonnenlicht und Gesundheit, die
nach Odins Lehren das Beste ftir die Menschen sind, damit er sich — dies ist ein Wunsch fúr
uns — seiner Wissenschaft und unsercr germanischen Sache noch viele Jahre in der alten
Kraft weihen kann.
Köln
Hans Kuhn