Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Blaðsíða 31
Die Stute duckt sich zusammen, wagt sich weiter — da gibt die Lava nach;
Stjarna macht einen Satz, wiihrend es im selben Augenblick unter ihrem rechten
VorderfuB kracht; ein kurzer Sprung und sie ware gerettet: da zerspringt die
Zacke unter ihrem linken HinterfuB, er sitzt festgeklemmt in einem Spalt, Stjarna
fállt platt auf die Lava, windet sich und schlágt um sich. Wildes Zucken eines
empfindsamen, zu Tode erschrockenen Tieres; immer mehr und immer gröBere
Wunden reiBen sich auf. Der vordere Teil des Körpers liegt niedriger als der hin-
tere; die ganze Schwere lastet auf dem festgezwángten FuB. Aufbáumen, Schla-
gen und Wálzen, dazwischen ganz kurze Pausen der Erschöpfung, Todesangst.
In der brennenden Sonnenhitze perlt ihr der SchweiB herab vor qualvoller Miihe;
die Augen quellen aus ihren Höhlen, das Scharren und Schlagen in der harten
Lava zerreiBt die groBe Stille der Einöde. — Da — ein heftiger Ruck und ein
Bersten, Stjarna ist frei, das Gestein um den FuB herum ist zersprungen, jetzt
noch sich hocharbeiten!
Ein Sieg in der Einsamkeit und dem Schweigen der Wiiste. Stjarna lebt! Da
steht sie auf der Sandwelle westlich der Lava, blutig und bebend, auf drei FiiBen,
mit dem linken HinterfuB kann sie nicht auftreten. Er ist aufgespalten und zer-
fetzt vom Hufbart bis zur Hacke und ganz lahm. Kurze Zeit verstreicht, erfiillt
von Schauer und Furcht des Alleinseins. Dann humpelt sie nach Westen auf das
Grasgelánde zu.
Reichliche Weide gibt es bei Hvannalindir, den Bergengelwurzquellen, wenn
das Fruhjahr gut ist und der Sommer lacht; aber wehe, wenn dort Unwetter wii-
ten, die vom Gletscher herunterkommen: rasender Sturm mit wogendichtem
Sturzregen, schwarzwolkiges Schneetreiben mit eisiger Kálte und fressendem
Frost. Diesmal war der Friihling zeitig gekommen, und er war wunderbar schön.
Der Sommer war weniger freundlich, vor allem in seiner letzten Hálfte.
Im Herbst war sie abgemagert bis auf die Knochen, die arme fahlrote Stute,
der Einsiedler in Hvannalindir. Noch immer war ihr HinterfuB lahm; die iibrigen
Wunden waren inzwischen geheilt.
Der Glanz der schönen Augen aber war erloschen. Ihr spruhendes Leben, ihr
Eigenwille, ihr Ubermut waren dahin.
Nur das Heimweh, qualvoll und máchtig, brannte unvermindert, war immer
noch wach.
Die blanken Augen, friiher so scharf und rein, tráumten jetzt miide und schwer
vor sich hin, wie Menschenaugen, die hartes Leid ertragen und heiBe Tránen ver-
gossen haben.
Ein Schatten war sie gegen friiher!
Auf drei FiiBen konnte sie den schwierigen, langen Weg nach Hause nicht mehr
Qiachen, so schwer es auch war, diese Einsamkeit und Verbannung zu erdulden.
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