Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Síða 54
dem nordischen Schicksalsgedanken die grie-
chische Vorstellung von den drei Schicksals-
göttinnen, doch stehe die germanische Schick-
salsvorsteilung auf einer ganz anderen und
eigenthch höheren Ebene als die griechische.
Die griechischen Schicksalsgöttinnen seien
die Töchter der Nacht, des Dunkels in jedem
Sinne, vor allem auch des Todesdunkels. Die
nordischen Noraen dagegen wohnten nach
der Edda unter der Weltesche, am Brunnen
des Lebens, aus dem sie Licht, Sonne und
Keimkraft schöpften. Ihre Aufgabe sei, das
Leben und Lebensgesetz aufrecht zu erhal-
ten, woraus schon dio hohe Bedeutung des
nordischen Schicksalsgedankens ersichtlich
sei. Eiir den nordischen Menschen sei Schick-
sal ein feststehendes Gesetz, durch das er An-
teil am Weltgeschehen, also Rechte und
Pflichten, gewinne. Dieses Lebensgesetz, das
uns verantwortlich mache, umschheCe auch
den Tod. Der Todesweg sei, wenn wir ihn auf
rechte Weise gingen, ein Weg des Lebens, der
zum ewigen Licht f iihrt. Der nordische Mensch
sehe im Schicksal keinen Herrn, sondern
einen Diener des Lebens. Das griechische
Bild vom Neid der Götter sei im Norden un-
vorstellbar; der germanische Mensch fuhle
sich in seinem kraftigen Lebensgefuhl jeder-
zeit in der ganzen Schöpfung. Wenn er in
Ubereinstimmung mit seinem Sehicksal lebe,
sei er glucklich. Nur werdem Schicksal trotze,
sei ein Neiding, einer, der die Ordnung des
Lebens und der Gemeinschaft breche und
darum dem Tode völlig verfallen sei. Hier
eröffne sich nun ein Ausblick auf die ganze
Gewalt des nordischen Schicksalsgedankens,
nachdem das Schicksal nicht so sehr aufier-
halb des Menschens sei, als vielmehr in ihm
selbst. Jedes Volk truge jederzeit sein Schick-
sal, ob lebensprachtig oder todesreif, in sich
selbst. Hier gelte das Scliillerwort: „In Deiner
Brust sind Deines Schicksals Sterne“. Da-
durch, dafi der Mensch selbst fur sein Schick-
sal und seine Ewigkeit verantwortlicli ge-
macht werde, wiirde das Leben heilig und er-
halte Ewigkeitswert. Der nordische Mensch
kannte ursprunglich den Begriff Sunde nicht.
Fiir den germanischen Menschen gebe es nur
den Brueh mit den Gesetzen des Lebens, der
gleichbedeutend mit dem Verbrechen sei.
Darum sei die Ehre auch der Schicksalsfaden
nicht nur des Einzelnen, sondern mehr noch
der Sippe,der unzerreifibare Lebensfaden, den
keine Schicksalsgöttin abschneiden könne.
Er könne nur von Schmach und Schaden zer-
rissen werden. Deshalb sei fiir den nordischen
Menschen so wichtig, dafi die Ehre nicht
sterbe, weil damit jede Lebensmöglichkeit er-
sterbe. Ein Tod in Ehren, ein Tod in Hingabe
an das Leben sei ein Tod zum Leben. Die Ver-
antwortung eines jeden Einzelnen sei grofi
und entscheidend, weil seine Ehre mit der
Ehre der Gemeinschaft unlösbar verbunden
sei. Darum heifie es fur den nordischen Men-
schen: Dies hier ist dein Leben, du stehst mit-
ten in dem, was war, ist und sein wird. Du
stehst mitten in der Schöpfung von Ewigkeit
umgeben. Handle danach!
Gunnar Gunnarsson wurde am Schlufi sei-
nes tiefgrundigen Vortrages von den Zuhörem
mit sttirmischen Beifallskundgebungen um-
jubelt. Charles Htinerberg
Tryggvi þórhallsson |. Am 31. Juli ver-
starb in Reykjavík nach einer Operation der
Bankdirektor und frtihere islándische Mini-
sterprásident Tryggvi þórhallsson. Von Beruf
Pfarrer, wandte Tryggvi sich seit 1917 immer
stárker der Politik zu. Er wurde Schriftleiter
der Zeitung Tíminn und Abgeordneter der
Bauernpartei. Im Jahre 1927 bildete er die
Regierung und wurde selbst Ministerprási-
dent. Als solcher trat er nach aufien hin be-
sonders bei der Tausendjahrfeier des islándi-
schen Staates im Jahre 1930 hervor. Im Jahre
1932 ubernahm er nach Beendigung seiner
Ministerprásidentschaf t die Leitung der Land -
wirtschaftsbank. Das islándische Volk be-
trauert in dem Dahingegangenen einen seiner
besten Mánner.
Snorri-Ehrung. Der sog. Snorri-Ausschufi
in Norwegen beabsichtigt, dem islándischen
Volke ein Denkmal von Snorri Sturluson zu
schenken. Das Geschenk, ftir das in ganz Nor-
wegen gesammelt wird, soll ein Ausdruck des
Dankes sein ftir all das, was Snorri Sturluson
ftir die nordische Geschichtsschrcibung be-
deutet. Es ist beabsichtigt, das Denkmal am
23. September 1941, Snorris 700. Todestag,
zu enthtillen. Es soll auf Reykholt stehen,
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