Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1943, Blaðsíða 45
DAS SOZIALE ER'WACHEN IN FINNLAND
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und den anderen Volksschichten klaffenden Abgrund iiber-
briicken können? Und wie sicherte man am besten die Zukunft
des Landes, wo die Bedrohung vom Osten her von Jahr zu Jahr
immer grösser wurde? Auf beide Fragen wurde dieselbe Antwort
gegeben: durch soziale Reformen werden soziale Gegensátze iiber-
briickt und damit Voraussetzungen fiir einen starken Wehrwillen
geschaffen. Die Durchfiihrung dieses Prinzips stiess jedoch auf
grosse Schwierigkeiten. Die junge akademische Generation war
fiir soziale Reformen schlecht vorbereitet. Ihr fehlte es an einer
griindlichen Kenntnis der Sache, sie besass keine politische Macht,
um ihre guten Vorsátze durchzufuhren, und sie litt an denselben
Vorurteilen wie die anderen Bevölkerungsklassen, indem sie Be-
denken trug, die Arbeiterschaft, der man auf Grund der Erfah-
rungen des Freiheitskrieges misstraute, durch soziale Reformen
politisch zu unterstiitzen. Auf diese Weise wurde die soziale
Tátigkeit der akademischen Jugend zu einem Kampfe gegen
Vorurteile, auch gegen die eigenen! Aus den schweren Priifungen
des Winterkrieges erwuchs endlich sowohl der finnischen Studen-
tenjugend als auch der ubrigen Bevölkerung die Befreiung. Der
Geist der Frontsoldaten und Waffenbriider war die Triebkraft,
die die Vorurteile brach, der Zusammenarbeit den Weg wies und
die soziale Erneuerung des ganzen Volkes nach sich zog.
Die Vorschláge, bei der sozialen Reformbewegung auslándi-
sche politische Muster, u. a. den korporativen Staatsgedanken,
zum Vorbild zu nehmen, fanden keinen Widerhall, da sie dem
finnischen Volkscharakter, vor allem dem finnischen Individualis-
mus, fremd waren. Die jungen Akademiker empfahlen ihrerseits
den Arbeitsdienst als Mittel zur Anerziehung sozialer Denkart.
Bei der Durchfiihrung des Arbeitsdienstes wurden einheimische
Muster zugrunde gelegt. Freiwilliger, »talkooartiger« Arbeits-
dienst kam zunáchst in Frage. Der umfangreichste Versuch die-
ser Art waren die freiwilligen Befestigungsarbeiten an der finni-
schen Ostgrenze im Jahre 1939. Sie hatten nicht nur fiir die
Sicherung der finnischen Grenzen grosse praktische Bedeutung,
sondern waren auch von erheblichem sozialen Wert, indem sie
ein enges Zusammengehörigkeitsgefiihl zwischen den Vertretern
der geistigen und körperlichen Arbeit schufen und den Wert der
körperlichen Arbeit ins rechte Licht setzten.
So hatten Arbeiter und Akademiker durch ihre Aufklárungs-
arbeit die soziale Entwicklung im Laufe der finnischen Selbstán-
digkeitszeit gefördert. Ebenso wichtig war aber auch der Ein-