Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Qupperneq 13
möglich ist. Aber Binnen- und Seeschiffahrt gingen ganz ineinander iiber, da man
mit den Seeschiffen weit in die Binnengewasser hinauf und mit den gröfieren
FlnBschiffen aufs Meer hinausfuhr. Das taten die Wikinger und áhnlich auch noch
die hansischen Kauffahrer und andere.
Auch bei den ost- und westgermanischen Stámmen, die in der langen Frúhzeit
ilirer Geschichte ebenfalls kaum irgendwo weit vom Meere oder von groBen Bin-
nenseen gesessen haben, werden die Verháltnisse den skandinavischen gleich oder
áhnlich gewesen sein. Mit Wikingzugen der Nordseestámme haben die Römer in
Frankreich und England zu allen Zeiten zu tun gehabt, die Eroberung Englands
durch Sachsen und Angeln geschah im wesentlichen in der gleichen Form wie die
spátere durch die dánischen und norwegischen Wikinger, und als die ostgerma-
nischen Stámme, die mehrere Menschenalter, ja zum Teil vielleicht Jahrhunderte,
fern der See gelebt hatten, sodaB jede unmittelbare Kenntnis undErfahrung im
Seewesen verlorengehen muBte, an das Schwarze und Mittellándische Meer ka-
men, schufen sie sich sehr bald neue Flotten, wenn auch áuBerlich nach fremdem
Muster, und machten sich zu Herren auch der Meere. Es saB ihnen im Blute. Denn
der Germane war eben nicht nur Bauer, sondern auch Seemann. Das rauhe
Nordmeer ist ihm seit der áltesten Zeit das zweite Element gewesen und wird
auf die Ausbildung einiger hervorstechender Wesenszuge des Germanen: des
kuhnen Wagemuts, des weitblickenden, groBzúgigenUnternehmer- und Eroberer-
geistes und der záhen und harten Willenskraft, entscheidenden EinfluB gehabt
haben. Zu ihnen konnte das eigentliche Bauernleben: Viehzucht und Ackerbau,
nicht erziehen, und wohl auch Fehden und Kriegszúge kaum, da sie, wenigstens
in der áltesten Zeit, lángst nicht so tiefgreifende Bedeutung gehabt haben können
wie das Fischer- und Seemannsleben. Sie sind hier eher Wirkung als Ursache.
Darum glaube ich, man wiirde mit mehr Recht die Wanderungen der ostgerma-
nischen und deutschen Stámme als die Wikingzúge der ins Binnenland verschla-
genen Germanen bezeichnen als umgekehrt, wie es manchmal geschieht, die Wi-
kingztige als die Völkerwanderung der seefahrenden Stámme. Auch glaube ich,
daB wenig anderes das Leben der ins innere Deutschland gerúckten Stámme so
tiefgreifend umgewandelt hat wie das endgúltige Verlassen des Meeres, das Jahr-
tausende ein wesentliches Stúck ihrer Heimat gewesen ist.
Aber auch diesen Binnendeutschen, die die Náhe der See vor mehr als 2000 Jah-
ren verlassen haben, steckt der Seemann immer noch im Blute. Das hat ihr gro-
Ber Anteil an der Entwicklung und den Leistungen unserer Kriegs- und Handels-
flotte in den letzten Jahrzehnten gezeigt. Kaum ein Ruf der kaiserlichen Zeit hat
in ganz Deutschland so tief und nachhaltig gewirkt wie der: Seefahrt ist not! DaB
Kúhnheit und Unternehmungsgeist im Kriege auf der See besonders groBe Wir-
kungsmöglichkeit und Wirkung hatten, ist kein Zufall. Auf diesem Element sind
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