Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Síða 16
zu fragen, einem Burschen zu, er solle drei Pferde satteln. Wir gingen in die helle
Dámmerung hinaus, es war schon nach zehn Uhr. Dem Jimgen gelang es nicht,
die besten Reitpferde von der Herde zu trennen, und er trieb deshalb die ganze
Koppel von vierzig Pferden zu uns hin, „damit ihr euch die besten aussuchen
könnt“; die Tiere glánzten in der goldbraunen Abendbeleuchtung. Wir reiten los,
und der Bauer erzáhlt von den rauschenden Festen des Winters, wenn die Bauern
der grofien Nachbarhöfe mit dreifiig Mann oder mehr zu Gast kommen und sie
um die Wette reiten iiber die gefrorenen Wiesen. Abends sitzen sie dann zusam-
men und singen ihre Lieder. Unter ihnen lebt noch die alte Art des islándischen
Zwiegesanges, bei der die Begleitstimme die Melodie in herben Quinten uber-
steigt. Der Bauer freut sich, als er hört, dafi auch wir diese Lieder schon gelernt
haben, und wáhrend wir gegen Mitternacht in die beginnende und schon wieder
verschwindende Dámmerung hineinreiten, singen wir laut miteinander:
Island, edelstes Heim, du unsere firnweiBe Mutter,
Schwand denn dein Váterruhm fort, Freiheit und machtvoller Sinn ? —
Im Nordwesten des Landes, wo die Berge schroff ins neblige Eismeer sttirzen,
in einer eingezwángten Bucht wohnt der Bauer Hjalmar Jónsson. Er ist wohl fast
so arm wie sein berúhmter Namensvetter, der groBe Bauerndichter aus dem vori-
gen Jahrhundert, aber er hat nicht dessen linienreiche, hohe Stirn, nicht seine
grandiose Unduldsamkeit und die tiefe Welttraurigkeit seiner Altersverse:
Blasse Dámmrung blaut herab,
Blind ins Grau ich schweife,
Vor mir irgendwo das Grab. —
Ritz’ ich in den Hoffnungsstab
Runen, die ich drúben erst begreife.
Der Hjalmar an der Eismeerkúste ist klein und beinahe zierlich, wenn man das
von einem alten Manne und noch dazu einem Bauern sagen kann. Haar und Bart
sind eisengrau, die Augen hell und farblos wie das Meer, auch die Gesichtsfarbe
ist grau. Seine Frau wirkt massiver, sie redet gewandt und macht von Zeit zu
Zeit die notwendigen Sprúche, bedankt sich fúr die Ehre, die wir ihrer armseligen
Hútte mit unserm Besuche antun, fúr die Bescheidenheit, mit der wir vorlieb-
nehmen usw. Der Mann steht noch auf einer andern, álteren Stufe der Höflich-
keit; er weiB: fragen muB der Gastgeber und zuhören; erst wenn er selber gefragt
wird, darf er von sich sprechen. Deshalb trágt er zunáchst zusammen, was er von
unserm Vaterlande weiB, fragt nach Stresemann und Briining und spricht voll
Ehrfurcht vom „alten Hindenburg“. Nach und nach bekommen wir ihn selbst
auch zum Erzáhlen, und schlieBlich ist er so weit, dafi er aus seinem eignen, engen
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