Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Qupperneq 18
in Reykjavik1 war in seiner Jugend nock Bauer und besaB auch spater noch einen
Hof im Nordwestlande, wo er jeden Sommer weilte. Wexm er als Jiingling seine
Wiesen bestellte, betrachtete er oft mit Verwunderung die verschiedenen Ge-
steinsschichten am Abhange uber seinem Hofe, und es drángte ihn, zu verstehen,
wie das Land geworden sei, das ihn und sein Vieh ernáhrte. Auf Wanderungen
gab er acht auf die verschiedenen Arten des grauen oder glitzernden Gesteins,
und als er 100 Meter úber dem Meeresspiegel versteinerte Muscheln fand, ver-
suchte er sich vorzustellen, wie einst das Land zu seinen Fúfíen von der See úber-
strömt war. Aus Búchern und durch einen kurzen Aufenthalt im Auslande er-
warb er sich die notwendigen Fachkenntnisse, und nachdem er einige Beobach-
tungen veröffentlicht hatte, wurde er zum Lehrer an eine Mittelschule berufen.
Aus dem islándischen Bauern war der bedeutendste islándische Geologe der Ge-
genwart geworden, doch sein Weg aus dem Bauern- in den Gelehrtenstand ver-
láuft klar und ohne Sprúnge und Risse, er brauchte sich auf ihm keinen Schxitt
von dem Mittelpunkt seiner eigenen Wesensform zu entfernen. —
Das Geheimnisvolle und Verhaltene des nordischen Landes sprach mich am
deutlichsten an aus der Persönlichkeit des grofíen Bildhauers Einar Jónsson.
Auch er hat sich sein Handwerkszeug in der Fremde holen mússen, aber sie liegt
so weit weg von ihm, dafí er sie nicht einmal mit seiner eigenen Sprache ergreifen
kann und ungewollt ins Dánische fállt, wenn vom Auslande die Rede ist. Uns
Deutsche bertihrte jedesmal sehr eigenartig, dafí das Wort ,,Berlin“, wenn er es
aussprach, so klang wie der Name eines Márchenlandes, wie „Orplid“ oder ,,Vi-
neta“. Sein angeborenes Handwerkszeug, die Augen, sind das Eindrucksvollste
an seinem Gesicht, denn wáhrend sie selbst vertráumt nach innen gekehrt zu sein
scheinen, verraten Fáltchen und bewegliche Linien ihrer Umgebung die Empfind-
lichkeit spáhender, kritischer Beobachtung. Inneres und áufíeres Bild scheinen
diese Augen gleichzeitig aufnehmen zu können. Neben dem Hofe, auf dem er ge-
boren ist, hat sich Einar ein kleines Sommerhaus gebaut. Als ich ihn dort be-
suchte, verstand ich, wie sehr sein ganzes Werk aus dieser Umgebung hervorge-
wachsen ist. Die nackten Felsen haben fúr ihn Gesichter, bártige Gestalten mit
schwindelhohen Stirnen erscheinen ihm aus den Klippen. Mir fiel die Skulptur
ein, die er „Morgengrauen“ genannt hat: Ein Riese, wesenlos wie ein Berg oder
eine graue Wolke, aber doch packend und fordernd wie jede grofíe Landschaft,
greift mit máclitiger Faust in den Raum vor sich. Ein zarter weiblicher Körper
schmiegt sich ihm entgegen; zu seinen Fúfíen kauert sich, scheinbar unberúhrt
von dem, was ringsum wirkt und webt, ein alter Bauernhof mit vielen Giebeln. —
So ist Island: Eine Landschaft voll starken Gefúhls, ohne Sentimentalitát. Die
Menschen und was sie schafften nur ein kleiner Teil dieser Landschaft, mit ihrer
1 Professor Gu'Smundur Báröarson. Vgl. den Nachruf in diesem Heft.
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