Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Side 23
peitschten Strand unter die Abhánge drohender Berge driickt. Da hángen die
Hutten am FuBe des Bergsturzes, als ob sie der Sturm dorthingeblasen hahe, sie
krallen sich in die karge Grasnarbe, als ob sie um ihr Leben kámpften — oder sie
scheinen aus den Húgeln und Felskanten herausgewachsen, kaum zu unterschei-
den von der alles umklammernden Gewalt dieser Natur. Das ganze Nest scheint
keinen anderen Sinn und Inhalt zu haben als die Tangbúscliel, die die Wellen auf
diesen frostigen Strand spúlen, oder wie die Regenwolken und Nebelfetzen, die
der Wind in das schwarze Antlitz der Basaltberge treibt. Und ebenso inhaltsleer
und richtungslos scheint das Leben der Menschen, die auf diesem kiimmerlichen
Flecken hausen, oder so scheint es doch dem Reisenden, der von den Menschen
und Dingen hier nichts als die AuBenseite sieht. ,,Wenn man von auBen auf das
Leben der Menschen hier blickt, so im Yorbeigehen, dann láBt sich nicht leugnen,
dafi der Alltag hier ohne Bewegung und Farbe ist. Die Menschen placken und
plagen sich alltags imd Sonntags, ohne Rast und ohne Schwung, immer in Múhe,
etwas von dem Berg Schulden abzutragen, der vom letzten oder gar vorletzten
Jahre dasteht. Und dann darf man darúber nicht den letzten, den Gang zum
Grabe vergessen, zu dem man einmal sich rústen muB. —Von der Liebe spricht
man in kargen Worten nicht viel anders, als man von den Milchschafen zur Paa-
rungszeit spricht; und das ist nun eigentlich alles, womit man sich zwischendurch
ein wenig Unterhaltung verschafft; nur selten geschieht etwas Neuartiges oder
Geheimnisvolles in diesen Dingen. Vielleicht wird einmal in diesem oder jenem
Hause ein uneheliches Kind geboren. Das wird dann beredet von vorne und von
hinten, einen halben Monat lang, tiber rohem und gekochtem Fisch, úber den
Fischballen, auf den Trockenplátzen oder úber den ewig schmorenden Kochtöp-
fen. Das Leben der Menschen besteht hier ganz in Fisch und aus Fisch, sie selbst
erscheinen fast wie Geschöpfe, die der Herrgott sich zurechtmacht aus frischem
Fisch und dazu vielleicht ein wenig schlechten Kartoffeln und Haferbrei...
Doch nein, auch hier muBte man forschen nach den unsichtbaren, den fast un-
ergrúndlichen, nach den vor allem wort- und zeitlosen Grúnden in der dunkelsten
Tiefe der menschlichen Herzen. Da lebt ein wundersames Triebwerk, wunder-
samer als das beste Motorboot, wundersamer als alles, was an Nachrichten úbers
Meer kommt, wundersamer als alles, was im Ausland geschieht, ja seltener sogar
als der König Britanniens, der an seinem Krönungstage in einen Mantel aus
70 Hermebnfellen gekleidet war. So fein gebaut ist dieses Triebwerk der Wirk-
lichkeit, zutiefst verborgen hinter der rauhen Maske des Tages, daB es jeder Auf-
lösung spottet und den Menschen wie eine Sandkugel unter den Hánden zerrinnt;
es scheint zusammengesetzt aus etwas Úberpersönlichem, das noeh stárker ist
als der máchtige Johann Bogesen, es wirkt úber der ganzen Siedlung mit unnah-
barer, leidenschaftsloser Ruhe und láBt alles seinen rechtmáBigen Gang gehen;
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