Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Page 24

Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Page 24
nicht nach irgendwelchen Gefiihlen, sondern nach so reich gegliedertem Gesetz und so verschlungener Weisheit, daB einem oft alles wie leeres Spiel und unsin- nige Tollheit erscheint. Nichts ist so rechtglaubig und nichts so wenig freiheitlich wie die Wirklichkeit hinter der Welt des Scheins. Dieser Abschnitt láfit deutlich die Eigenart der Laxnessschen Sehweise erken- nen. Kein islándischer Dichter vermag so wie er seinen Gegenstand aus teilnahms- fernem Abstand zu sehen, oder vielleicht eher wie ein Mensch, der die ganze Welt zum Vergleich hat, auf die verlorene Insel fern im Nordmeer blicken muB, die den Namen Island trágt. Laxness hat nicht umsonst die Welt von einem Ende zum andern durchstreift. Auf der anderen Seite hat er aber dabei erkannt, dafi das Leben iiberall sich selbst gleich ist, dafi Wahrheit und Wirklichkeit auf den Stra- Ben der Grobstádte nicht mehr und nicht weniger zu finden sind als in den ver- borgensten Winkeln der Welt, so wie Ó seyri am Axlarf jördur. Und diese Wirkbch- keit findet er in jener zeit- und grundlosen Tiefe der menschlichen Seele. AuBerlich hat das Leben der Menschen in diesem Dorf viel Ahnlichkeit mit der Welt, die Hamsun in seinen Buchern erstehen láfit: tíber der Siedlung ragt der allmáchtige Kaufmann Johann Bogesen wie ein Turm, nait dem Arzt, einem et- was wirren Eigenbrötler, und dem Pfarrer, einem bemoosten Trottel, wie zwei kleinen Nebentúrmen zur Lihken und zur Rechten. Die beiden sind eigentlich mehr zum Schmuck als zum Nutzen da; der Arzt schafft kaum mehr, als dafi er den Leuten ein ,,Lebewohl“ auf den Weg nach dem ,,Súden“, in die Ewigkeit, mitgibt, und der Pfarrer hat seit Iangem kein anderes Interesse, als in dieser schweren, ármlichen Einsamkeit seine eigene Dúrftigkeit einigermafien durchzu- bringen. Die geistige Armut des Seelenhirten hat der Heilsarmee Wind in alle Segel gegeben, und eigentlich ist sie die einzige wirkliche geistige Trösterin des mifihandelten Gottes unter diesen Menschen, abgesehen davon, dafi die Versamm- lungen der Heilsarmee eine willkommene Unterhaltung fur die Leute sind, auch ftir die, die der Erbauung nicht bedúrfen. Der Kaufmann aber ist in dieser Gesell- schaft ohne Zweifel die tragende Sáule; rings um seinen Unternehmungsgeist sind die Eischerhútten aufgeschossen wie Pilze, er allein hat allen Handel und Wandel in der Hand, fúr ihn arbeiten die Leute in guten und schlechten Tagen; er ist die Vorsehung, die die Scheuern fúllt in den fetten Jahren und allen Verlust der ma- geren trágt. Und doch — dieser Máchtige ist nicht die Wirklichkeit auf Óseyri am Axlar- fjördur; trotz seines Einflusses ist er nicht mehr als eine Blase, die auf dem tiefen Meer des Volkes schwimmt; eine Blase, die zerplatzen mufi, wenn die Stúrme und Strömungen der Zeit vielleicht einmal dieses Meer aufwúhlen, das jetzt ganz ruhig zu schlafen scheint, in dessen Tiefe aber schon die Woge sich riihrt. (Forts. folgt.) 24

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