Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Qupperneq 40
bereits vor dem Schlafengehen unsere 3 Kochtöpfe mit Firn gefiillt und zum
Schmelzen hingestellt. Dieses Verfahren hatte neben der Verkiirzung des eigent-
lichen Kochprozesses auch noch den Vorzug, daB es reichliches Eiswasser zum
Trinken bot. Und wir hatten gewaltigen Durst nach dem gestrigen Aufstieg. Es
muBte drauBen gekocht werden, da das Zelt dazu zu klein war. Zu diesem Zwecke
wurde eine kleine Grube gegraben und der Primuskocher auf den Petroleumtank
gestellt. Der Koch hatte davor auf einem Ölsack zu knien. Was es bei diesem
ersten Mittagsmahl alles gegeben hat, ist mir leider entfallen, da ich versaumt
habe, den Speisezettel ins Koutenbuch einzutragen. Jedoch entsinne ich mich,
daB beim zweiten Gang, wahrend die Aufsicht des Kochtopfes mir zufiel, dieser
samt dem Primus in einem unbewachten Augenblick umkippte und der ganze
Inhalt — aufgeweichter Dörr-Rosenkohl und halbgarer Reis — im Schnee lag.
Das konnte uns aber nicht hindern, den Kampf von neuem aufzunehmen, und so
muBte der Kohl mit neuem Schnee wieder in den Topf. Eine liebsame Uber-
raschimg brachte das erste Topfreinigen, man brachte ihn bloB ein paarmal mit
dem groben Firn zu fiillen und kraftig zu schiitteln, dann war er blank.
Wir hatten beschlossen, diesen Tag als Rasttag und zur Erkundung der Um-
gebung zu verwenden. Der letzte Weg unseres Aufstiegs hatte uns in nördlicher
Richtung auf der westlichen Seite, nahezu dem Kamm selbst, einer ungefáhr Siid-
Nord streichenden vereisten Kette entlang gefiihrt. Da unser Lager etwa 40 m
westlich eines groBen Basaltnunataks lag, der auf der Höhe schroff aus dem Eise
hervorragte, nannten wir es ,,Lager Nunatak“. Der unmittelbare Weg nach Nor-
den wird durch die bereits genannte steile Eiskuppe des Godahnúkur versperrt,
die ein Firngrat mit unserem Nunatak verbindet. Das Lager, nach Osten und
Norden gedeckt, lag so oben auf dem nach Westen hin zunáchst flacher, dann
aber sehr steil abfallenden Firnhang. Ein herrlicher Uberblick bot sich von dort
nach den freien Richtungen. Úber den tief unten liegenden máchtigen Talglet-
scher Svínafellsjökull und dessen Randgebirge hinweg sah man eine nach Nord-
westen und Westen sich endlos ausdehnende weiBe Firnwiiste. Bei dunstloser
Sicht zeichnete sich am Horizont im Nordwesten die in etwa 65 km Entfernung
liegende Kverkfjöllkette und im Sudwesten die von hier aus flach erscheinende
Kappe des ungefáhr 75 km entfernten Öraefajökull ab. Im Súden dagegen ist in
der Tiefe ein Teil des Hornafjordbeckens und der Atlantische Ozean sichtbar.
Infolge des heiBenTages stiegen aus der Fjordebene Verdunstungsnebelauf, die
sich zum Gebirge und Gletscher hinzogen und die am Spátnachmittag sich als Nebel-
decke tiber dem Svínafellsjökull zusammenzuziehen begannen. Abends lag der
Talgletscher und der Súden unter einem dichten Wolkenmeer verdeckt, das etwa
bis 800 m Höhe hinaufreichte. Der Blick in die Tiefe, wo die Menschen wohnten,
war uns genommen. Wir lebten tiber der Welt. Im Reich einer fúr uns scheiden-
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