Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Page 41
den Sonne; denn schon warf der weifie „Gröttergipfel“ seinen bleichen Schatten
iiber das weiBe Gefilde. Kurz vor Mitternacht erstiegen wir den Berg und waren
tief ergriffen von dem unvergleichlichen Rundblick, der sich unseren Augen dar-
bot. Genau im Norden ragte das eisgekrönte Inselbergmassiv des Snaefell wuch-
tig in den blaBroten Mitternachtshimmel. Ein majestatischer Berg. Úber eine
Eis- und Gebirgswelt in einzigartigem Schein und Licht sahen wir hinweg. Aus
dem Innern und Osten erhoben sich Inselberge, Gebirge und Tafelgletscher. Im
Osten und Siiden Kiistengebirge und eben angedeutet das Meer. Als auffallendste
Erhebungen machten wir aus: im Osten die beiden anscheinend zungenlosen Tafel-
gletscher Hofs- und þrándajökull, die wie riesige Pfannkuchen daliegen. Das
Snaefellmassiv, die klotzige Herdubreid mit ihrem Schilddach auf steilem Sockel,
unmittelbar westlich daneben ein riesiger Sarkophagberg (Kotlótta Dyngja),
dann das vierkantige Dyngjufjöllgebirge, das die Askja umrandet, die nach Nor-
den auslaufende Kverkfjöllkette und endlich den Öraefajökull mit dem Hvanna-
dalshnúkur. Die wirklichen Grenzen des Vatnajökull lassen sich auch nach Nor-
den nicht erkennen. Das Eis schien nach Westen hin ganz sachte anzusteigen. Am
westlichen Horizont ist es am höchsten. Ein markanter Punkt zwischen Kverk-
fjöll und Hvannadalshnúkur zeigt sich jedoch nicht. Unser Standpunkt auf dem
Gipfel der Nord-Súd-Kette lag bedeutend uber der Eistafel. Nach Osten hin fal-
len senkrechte Schneewánde ab, zu deren FúBen sich der Talgletscher Lamba-
tungujökull nach Súden erstreckt. Er wird östlich ebenfalls von einer hohen Eis-
kette begrenzt, die vermutlich die Ostgrenze des Vatnajökull bildet.
Etwas durchfroren und mit steifen Hánden vom Peilen und Photographieren
traten wir den Abstieg an und konnten um 2 Uhr 45 in unsere Schlaf sácke kriechen.
Am 19. Juni sollte nach Anlage des Depots der Weitermarsch angetreten wer-
den. Um 10 Uhr erhoben wir uns. Das Wetter war wieder herrlich, noch wármer
als tags zuvor. Es schien, als könnte es hier oben gar nicht anders sein. Die Nebel-
decke lag noch immer úber dem Svínafellsjökull. Gegen Mittag schien sie sich
etwas zu lichten. Wir machten uns sogleich an die Teilung unserer Ausrústung.
Die Lebensmittel wurden halbiert, und alles, was nicht unbedingt notwendig oder
doppelt vorhanden war, der eine Petroleumtank, die Ersatzhose, selbst ein Teil
des Skiwachses und Filmmaterials u. a., muBte zur Verringerung der Schlitten-
last zurtickbleiben. Die Sachen wurden in unseren Blechkoffer und Sácke ver-
packt. Die Wahl fúr den zur Errichtung des Depots am besten geeigneten Punkt
war nicht ganz einfach. Der Ort muBte neben der leichten Auffindbarkeit auch
die gröBtmögliche Sicherheit bieten. Der Lagerplatz selbst gefiel uns nicht recht,
da sich zwischen ihm und dem Nunatak einige, wenn auch schmale, z. T. noch
mit Schnee verdeckte Spalten hinzogen. Sie lieBen die Befúrchtung aufkommen,
daB an dieser Stelle Oberfláchenveránderungen und Spaltenbildung durch Ab-
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