Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Side 57
Das Wort Saga darf íibrigens nicht mit Sage verwechselt werden. Hier sind die
allergröBten Irrtúmer leider weitverbreitet. Die Allergebildetsten wissen meist
nicht, was Saga ist. Es ist zwar dasselbe Wort wie Sage, bedeutet aber etwas
ganzlich anderes. Es bedeutet Bericht, wahrheitsgemaBen Bericht, fast in realisti-
scher, ja naturalistischer Art. Das Leben einzelner Germanen, Bauern, Krieger,
Háuptlinge, Könige, Erauen aller Art, wird hier wahrheitsgemáB bis in die klein-
sten Kleinigkeiten des táglichen Lebens geschildert. Es ist das etwas ganz Einzig-
artiges in der Weltliteratur, es ist das eine Schreibart, die die Welt sonst erst be-
kanntlich im 19. Jahrhundert erreicht hat. Hier kam das germanische Altertum
aus sich selbst dazu. Es ist ein Wunder, wie vom Himmel gefallen, und wenn man
die griechische Tragödie als ein fruhes Weltwunder der Weltliteraturgeschichte
rúhmt, so muB man das auch tun mit der islándischen Saga. Denken Sie sich nun
in úber 20 Bánden das Leben vieler Hunderter unserer Vorfahren vom gröBten
bis ins kleinste beschrieben, so werden Sie zugeben, daB hier eine Quelle zur Er-
kenntnis des alten Germanentums flieBt, wie es kein anderes Volk der Erde an
seinen Anfángen besitzt.
Diese Saga ist auch wichtiger als die ganze Vorgeschichte, die Práhistorie, von
der heute die Leute ihr Heil erwarten. Das wird und muB notwendigerweise zu
einer Enttáuschung fúhren, denn der Boden gibt nun einmal bei uns nicht die
Fúlle her, wie in den súdlichen Zonen Europas. Aber die Saga enthált ja das ger-
manische Leben besser, als alle Funde in Italien und Griechenland das Leben der
Römer und Griechen enthalten können.
Gudmimdur G. Bárdarson, Prófessór f
Am 13. Márz 1933 verstarb in Reykjavík nach langem, schweren Krankenlager
Professor Gudmundur G. Bárdarson, Studienrat am Realgymnasium Reykjavík,
im Alter von 53 Jahren.
Gudmundur Bárdarson ist zu fruh gestorben fúr seine Familie, deren Schicksal
durch seinen Tod unverdient schwer geworden ist, fur seine Freunde, denen der
Verstorbene allzeit ein treuer Helfer war, fúr seine Wissenschaften, in die er sich
in lebenslanger Arbeit durch úberragende eigene Kraft hineingearbeitet hatte,
ftir sein Vaterland, das in ihm einen Sohn verliert, der seine Heimaterde wie kein
zweiter geliebt hat. Gudmundur war eine Verkörperung dreier islándischer Tu-
genden, echten Bauerntums, unermúdlichen Bildungseifers und vorbildlicher
Gastfreundschaft. Er ging mit eiserner Energie seinen Weg vom Bauernjungen
zum Bauernhofsbesitzer, vom Autodidakten zum angesehenen Gelehrten, und
doch machen seine Herzensgúte und Hilfsbereitschaft allen, die ihn kannten, sein
Andenken besonders teuer.
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