Mitteilungen der Islandfreunde - 01.04.1934, Qupperneq 62
parkell Jóhannesson, Die Stellung der freien
Arbeiter in Island. Bis zur Mitte des
16. Jahrhunderts. Reykjavík und Kopen-
hagen 1933, 256 S.
Diese Arbeit des jungen islandischen Hi-
storikers ist hervorgegangen aus der Teil-
nahme an dem Wettbewerb um den Lehr-
stuhl fiir islandische Geschiohte an der Uni-
versitat Reykjavík im Jahre 1932. Sie ist
dann spáter vor der philosophisehen Fakul-
tát der Universitat Kopenhagen von dem
Verfasser mit Erfolg verteidigt worden und
hat ihm den Doktortitel eingetragen.
Das in deutseher Sprache erschienene Buch
ist ein wesentlicher neuartiger Beitrag zur
Geschichte des islándischen Volkes und Staa-
tes im Mittelalter, die bisher fast nur von gei-
stes- und rechtsgeschichtlicher Seite her ange-
griffen worden ist. Die ErschlieCung der volks-
wirtschaftlichen und gesellschaftsgeschicht-
lichen Zusammenhánge des islándischenSied-
lerstaates ist zuerst naturgemáC zuriickgetre-
ten vor der einzigartigen kulturellen und
staatlichen Leistung der alten Islánder. Hier
scheint die jetzt tátige islándische Genera-
tion einsetzen zu wollen, sicherlich mit ange-
stoCen durch die starke Entwicklung der
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in den
letzten Jahrzehnten. Ein GesamtumriG der
Wirtschaftsentwicklung Islands von der Zeit
der Besiedelung bis zur Gegenwart ist zum
erstenmal vor drei Jahren von einem jungen
islándischen Volkswirtschaftler (Bjöm L.
Bjömsson) an einer deutschen Universitát als
Doktorarbeit vorgelegt und anerkannt wor-
den, hat aber wegen der allgemeinen Ungunst
der Verháltnisse noch nicht gedruckt werden
können. Hoffentlich wird das bald möglich.
þorkell Jóhannesson behandelt aus dieser all-
gemeinen Geschichte eine eng umgrenzteFra-
ge, fur die er aher auch erst den Hintergrund
gewinnen muG durch einen knappen AufriC
der allgemeinen Verháltnisse der Besiede-
lungs- und ersten Freistaatzeit. Dieser Auf-
riC enthált treffende Einsichten uber Voraus-
setzungen und Aufbau der islándischen Sied-
lungen, hesonders auffallend ist die starke
Herausstreichung des wirtschaftlichen Ge-
sichtspunktes als Grund fiir die Besiedlung
Islands gegenuber dem rein politischen. Der
Verfasser kommt zu deutlich begriindeten
und umgrenzten Abschnitten der Wirtschafts-
gestaltung auf Island: Das Zeitalter der Be-
siedelung — das Zeitalter der Landwirtschaft
(ca. 930—1300) — das Zeitalter der Fischerei
(1300—1450). Allgemein wichtig ist der Nach-
weis, daG die beruhmte „aristokratische De-
mokratie“ Alt-Islands auch in den wirtschaft-
lichen Notwendigkeiten der Siedlung eine
Wurzel hat. Auf diesen Grundlagen entwik-
kelt der Verfasser die Arbeitsformen der ver-
schiedenen Wirtschaftszweige mit einem auch
kulturgeschichtlich noch auszuwertenden
Ahschnitt iiber die wichtigsten Zweige des
Handwerks, der Rohstoffgewinnung und der
Heimarbeit. Es folgen die Anfánge des Be-
rufsstandes der freien Arbeiter auf Island —
hier druckt sich die Besonderheit der islan-
dischcn Verháltnisse am stárksten in der Be-
schránkung der Sklavenhaltung aus—, die
gesetzlichen Bestimmungen uber die Arbeits-
leute und ihren Dienst, Freizugigkeit und
Arbeitsmangel und eine geschichtlich geglie-
derte Darstellung der Lohnverháltnisse. Da-
bei zeigt sich, daC die Lohnbewegung in der
Zeit von 1350—1550 auf Island stark iiberein-
stimmt mit der in England und Deutschland.
Die Untersuchung von þorkell Jóhannes-
son schlieGt uber ihren rein wirtschaftswissen-
schaftlichen Zweck hinaus eine Menge Tat-
sachen und Beziehungen auf, die das Gesamt-
bild des mittelalterlichen Islands wesentlich
mitbestimmen. Die Arbeit beweist auch auf
Schritt und Tritt die Notwendigkeit der ge-
genseitigen Ergánzung und Befruchtung al-
ler Wissenschaftszweige. Das liegt ftir Island,
jedenfalls fur die ersten drei Jahrhunderte,
schon begriindet in der Eigentumlichkeit ei-
nes seiner wichtigsten Quellengebiete: der
Saga, da die den ganzen Umkreis altislándi-
schen Lehens umspannt. Es ist vorbildhch,
daC der Verfasser das iibrige Quellenmaterial,
Gesetze, Urkunden, Akten, Briefe, verfolgt
hat bis in das in diesen Dingen bisher wenig
ausgebeutete Hamburger Staatsarchiv. Er
bringt im Anhang drei Stucke aus dem Ar-
chiv in der Ursprache aus den Jahren 1547,
1548 und 1550, die ein Streiflicht werfen auf
die Beziehungen Hamburger Kaufleute zu Is-
land in der Zeit der Hanseherrschaft. Es ist
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