Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Side 30
die Pferdeschar des Heimathofes zu, der Freiheit, den Hochweiden entgegen —
und dem schönen Fohlen, das ihm entrissen worden war —. Ein helles Gewieher,
nur ein einziges — und sie war nach Westen zu, iiber Geröll und Hiigel, Heide
und Sumpf davongestiirmt.
Dreckbespritzt und staubbedeckt jagte sie jetzt iiber die Sandebenen im We-
sten daher, durch Einöden und iiber weite Flachen, wo kein Grashalm wáchst.
Der Gletscherschild gluhte in der Sonne, der Kreppaflufi hastete graustrudelnd
gegen Norden; er war nicht leicht zu iiberwinden. Auf einem Grasfetzen östlich
des Flusses weidete das fahlrote Pferd — jetzt ging es zum Flufi hinunter, legte
das Maul schnuppernd aufs Wasser und schnaufte dreimal, dann kehrte es um.
Stjarna hatte mehr Furcht vor diesen weifibrechenden Stromwellen als bei ihrem
Angriff auf den ersten Flufi: Moraste und Sumpfland, Sandwiisten und Öden,
jedes Grashalmes bar, und quálender Hunger hatten ihr schonarg zugesetzt; vor
dieser Sturzflut wurde sie von Angst gepackt.
Etwas weiter nördlich flofi der Flufi breiter; dort war die Strömung geringer;
zu beiden Seiten háufte sich Flugsand. An dieser Stelle ging Stjarna eine Zeit-
lang prufend hin und her und beschnupperte das Wasser; dann setzte sie hinein;
sie versank im quirlenden Schlicksand; jetzt galt es alle Geistesgegenwart und
alles Geschick zusammenzunehmen; es ging auf Tod und Leben; eine harte
Probe. Sie kann nicht wenden, aber sie wiihlt sich vorwárts, wenn auch langsam.
Angst steigert alle Kráfte; ein blitzartiger Vorstofi und die Schlickschicht teilt
sich. Stjarna taucht schnaubend auf, beginnt zu schwimmen und treibt auf die
westliche Flufiseite zu. Kopf und Máhne und Hinterteil ragen aus dem Wasser;
kaum daB die Kruppe iiberspult wird; sie reckt den Hals, beifit die Záhne zu-
sammen, die Niistern bláhen sich und ihr Schnauben durchstöfit hastig und hart
das Rauschen des Stromes. Das Schwimmen gelingt gut — wie schön ist dieser
Pferdekopf mit den scharfen Ziigen und den glánzenden Augen, der durch den
Flufi nach Westen strebt! Am Westufer war weniger Schlicksand, dennoch be-
durfte es harter angstvoller Muhe, ehe das feste Land erklommen war. Stjarna
lief eine kurze Strecke nach Sudwesten; sie wálzte sich lange im Sande, stand auf
und schiittelte sich; und dann ging die Flucht weiter. Bald stiefi sie auf Lava.
Scharfzackige, briichige, wilde Lava. Sie suchte nach der am besten zu passieren-
den Stelle. Dort ist es am niedrigsten und schmalsten. Im Westen schimmert ein
Bachlauf und bauscht sich saftgriines Weideland. Sie betritt die Lava, tánzelt
leichtfiifiig, aufmerksam und schnuppernd iiber den schwarzstarrenden Grund,
der oft so heimtiickisch unter den Hufen zerbricht. Sie zittert vor Angst, heftig
und ruhelos hámmert ihr Herz. Am schlimmsten ist die letzte Strecke, das Ge-
stein am gröbsten, am lockersten und löcherigsten — aber nur noch eine ganz
kurze Strecke, dann Sandhiigel — und dahinter duftendes Gras.
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