Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Page 41
immer spirituell und von einer fröhliehen Liebenswiirdigkeit. So war er der alto Dichtervater
des ganzen Volkes geworden.
Er schrieb gute, aber nicht hervorragende historische Dramen. Das populárste seiner Schau-
spiele ist ein Jugendwerk: „Die Geáchteten“, und so echt und frisch in der Schilderung des
Volkslebens, dafi es sicher klassisch und immer ein Repertoirestuck bleiben wird.
Sein Höchstes erreichte er in derLyrik. Leider scheintdiese uniibersetzbar zu sein; es wáre
zwecklos, hier irgend etwas aus den deutschen tlbersetzungen seiner Gedichte zu zitieren.
Seine lyrische Produktion ist groB und sehr ungleich. Er arbeitete nicht sorgfáltig an seinen
Gedichten, er war ein unruhiger Geist, ein Impulsiver, das Wesen seiner Begabung war Spon-
taneitát. Er gehörte zu den Dichtern, die sich auf ihre Inspiration verlassen und gelegentlich
daB Genialste hervorbringen. Seine grööten Gedichte schuf er in einer Ekstase, die Ideen und
Bilder eruptiv entstehen lieB, seiner Sprache Kraft gab und seinem Rhythmus Schwung, wie
man es nur selton in der Literatur findet. Sein Werk mag in vieler Hinsicht darunter leiden,
daB ein kleines Volk nie seinem Dichter dieselben Möglichkeiten zur Entfaltung aller Kráfte
gibt wie die groBen Lánder. Er gehört trotzdem nach der ganzen Art seiner Begabung zum
Geschlecht der gröBten lyrischen Genies. Daneben hat er auch als ein Ebenbiirtiger die Klas-
siker ubersetzt: Shakespeare (verschiedene Hauptwerke), Byron (Manfred), Tegnér (Erith-
jofs-Saga), Ibsen (Brand) u. v. m.
Seine Natur war reich an erstaunlichen Gegensátzen. Er war ein tief christliches Gemiit
und ein lebensfroher Weltmann zugleich, ein Mann aus dem Volke und ein geborener Aristo-
krat. Seine Gedichte uber einfache Leute, deren Schicksal ihn geruhrt hatte, sind ebenso echt
und ebenso monumental wie diejenigen, in denen er historische Ereignisse und Persönlich-
keiten, geistliche und weltliche Puhrer des Volkes schildert. Er war ein Moderner und ein
Mensch aus der Sagazeit zugleich, die alte Kultur war in ihm völlig lehendig; er beherrschte
die Ideenwelt, Sprache und Versart der Alten, schrieb mit gröBter Leichtigkeit Gediehte, die
ebensogut ums Jahr 1000 entstanden sein könnten. Er war vor allem ein Stimmungsmensch,
der ebenso herrlich lachen wie bitterlich weinen konnte, manchmal in einfach-erhabener
Weise die Hánde wie ein Kind zum Gebet faltend, dann wieder ein gefahr- und tatenlieben-
der Wiking, manchmal ein Verzweifelter, der Gott flehend um Antwort auf die schwierigsten
Pragen bittet, und dann wieder ein Prophet — ein von der Allmacht Auserwáhlter, um
Stimme der höchsten Weisheit, des höchsten Willens zu sein.
So wurde er im Lande der Edda und der Sagas, fur ein Volk, das Jahrhunderte hindurch
nach ruhmreicher Vergangenheit einen schweren Schicksalskampf ftihrte, einer der ersten,
der nicht nur ein groBer Dichter, sondern auch ein Symbol dafúr war, daB dieses Volk im Be-
griffe stand zu siegen und wieder das GröBte hervorbrachte: geniale Menschen starker und
edler Art. N. G.
Dichter an der Ostsee
Unweit von Lúbeck, jener Stadt der guten Tradition und der neuen Verpflichtung, in Tra-
Vemúnde stehtdasdeutsch-nordische Schriftstellerhaus. Es hatte in diesem Jahre zum zwei-
tenmal Schriftsteller aus dem Norden und aus Deutschland zu Gastc. —
Das Haus, das mit seinen etwas pompösen vier Sáulen an der Vorderfront eines der
schönsten und eindrucksvollsten der Strandpromenade ist, hat so seine kleine Geschichte.
Gebaut hat es sich der Ltibecker Senator Possehl, einige Jahre vor dem Kriege, als noch
zahlreiche Schiffe das Erz aus seinen schwedischen Gruben und Bergwerken weit aus
dem Norden zu seinem Hochofen nach Lúbeck brachten, als alle öfen seit kurzem
wieder unter Feuer waren und die Feuersáulen des náchtlichen Anstiches den Wohlstand
des Senators und der Stadt auf den schwarzblauen Himmel schrieben. — In einem weit-
ausladenden Garten steht das Haus, innen nach Plánen und Zeichnungen des Jugendstil-
Wchitekten van der Velde eingerichtet, schlicht — und doch den Reichtum verratend, ftir
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