Mitteilungen der Islandfreunde - 01.12.1935, Síða 45
Bemerkungen zu einem geographischen Reisebericht
Von Helmut Verleger
In dem Expeditionsbericht „Der Vatnajökullausbruch 1934 auf Island" H. 4, S. 181—188,
berichtet stud. geograph. Karl Schmid, ein Teilnehmer von Dr. Ernst Herrmanns Vatnajö-
kull-Expedition, iiher die im August 1934 durchgefiihrte Reise zum vulkanischen Aushruchs-
herd des im Vatnajökullinneren gelegenen Untereisvulkans. Diese Ostern 1934 einsetzende
Eruptionstatigkeit inmitten des gröBten islándischen Eismassivs hat als ein áuCerst seltenes
Naturereignis nicht nur in der ganzen Presse starke Beachtung gefunden, sondern auch gleich-
zeitig eine Reihe von Wissenschaftlern und Reisenden auf den Plan dieses vordem nur wenig
beachteten Eisgebietes gerufen. Es ist zu begruCen, daC unter den drei Unternehmungen,
denen es gelang, 1934 zu dem noch tátigen Krater vorzudringen und die so zu der fiir die
wissenschaftlicho Erkenntnis wichtigen Beobachtung und Untersuchung eines Vulkanaus-
bruches im Eise und seiner Wirkungen betragen konnten, sich auch eine deutsche befand.
Mit Interesse und Spannung greift man daher zu dem Bericht uber den Verlauf und Aus-
gang einer solchen nicht ganz aUtáglichen und ohnehin schon schwierigen Eisreise in das Aus-
bruchsgebiet, iiber den angetroffenen Befund des Kraters und die wissenschaftlichen Ergeb-
nisse. BeigenauemLesenobigen AufsatzeswirdeinKennerderislándischen Geographie jedoch
leider rasch stutzig, und zwar durch die angefiihrten Zahlen. Diese Zahlenangaben erweisen
sich námlich, soweit sie nachpriifbar sind, fast alle als iiberhöht, ja z. T. als verdoppelt. Es er-
scheint uns im Interesse der Sache hier notwendig, zur Beweisfiihrung eine RichtigsteUimg
zu bringen.
Da wird zunáchst gesagt, der Vulkanausbruch von 1783 (der Ausbruch der Kraterreihe
„Laki“, d. Verf.) habe allein 40 v. H. der BevöLkerung den Tod gekostet. Nach dem Vulkan-
ausbruch starben in Island als Folge der durch Vergiftung des Weidelandes hervorgerufenen
Hungersnot 28013 Pferde, 11462 Rinder, 190448 Schafe und 9336 Menschen,1 das sind
jedoch nur 20 v. 11. dcr Island bevölkerung, ein Verlust, der schon ungeheuerlich genug fiir ein
Volk ist. Durch die Lavamassen selbst wurden damals 1—2 Dutzend Höfe verschiittet.2 Is-
land mache fláchenmáBig etwa ein VierteJ Deutschlands aus. Island: 103000 qkm, Deutsch-
land: 470000 qkm. Der Vatnajökull enthált etwa 9000 qkm Eisareal; das „etwa“ bedeutet
hier die Kleinigkeit von 800 qkm Vergletscherung zu viel.3
Die dem Vulkan am náchsten gelegenen Siedlungen werden mit einer Entfernung von etwa
100 km bedacht, wáhrend die Siedlung Skaptárfell (drei Bauemhöfe) wenige Kilometer
vom SO-Rande des Skeidarárjökull entfernt, nur 40—45 km siidlich des Kraters liegt.4 * Nach
Schmid ist der Krater vom Eisrand sogar noch 50 km entfernt. Die Aussageform: „In einem
40—60 m hohen, schuttbedeckten Bruch sturzt das Inlandeis zur Endmoráne ab“, ist durch
die Bezugsmöglichkeit auf die allgemeine Eisrandlage und Gestaltung des Inlandeises sehr
dazu angetan, ein falsches Bild zu erwecken, weil der Rand des Náhrgebietes, soweit es sich
also nicht um Zungenvergletscherung handelt, im Vatnajökull wio in der islándischen Hoch-
landvereisung iiberhaupt (grofie Firnkappen mit wenig oder gar keinen Zungen) gewöhnlich
auskeUt, teUs sogar ganz flach ausldingt.
Sehr interessant ist hier auch der Vergleich mit dem Aufsatz des Expeditionsleiters Dr.
Herrmann: Vulkane unter Eis auf Island.6 Bei Schmid ist das Inlandeis etwa 2000 m hoch,
das Kraterloch etwa 6x4 km groB, und die steilen Abbruchswánde besitzen 200 m Máchtig-
1 Vgl. Prinz, Geist u. Geschichte des isl. Volkes, in W. Heering, Das unbekannte Island 1935.
2 Kulin, Island, das Heimatland der Sagas, Lpzg. QueUe & Meyer. 3 Vgl. G. G. Bardarson,
W. Iwan, J. Eythorsson, H. Verleger u. a. 4 Verf., Vulkanausbruch mit Aschenregen u.
Jökulhlaup auf Island. Geogr. Wochenschrift 1934. 6 „Der Norden“, Nord. Ges. Nr. 10.
XII. Jahrg. 1935.
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