Jökull - 01.12.1984, Blaðsíða 104
Stelle. Damals mussten sie ihr Lager verlegen,
weil der Gletscher sie sonst íiberrannt hátte.3) 4 Sie
stellten ein tágliches Vorriicken von 5 m fest. Seit
diesem Besuch, es waren gerade 11 Monate her,
ist der Gletscher um etwa Vz km vorgeriickt.“
(Nusser 1935)
Das Heranziehen der Lichenometrie zum Da-
tieren von Moránen historischer Gletschervor-
stösse diirfte sich in Island vorláufig nur in den
Vorfeldern von Schreitgletschern bewahren, die
in geschiitzte Táler oder in Einbuchtungen des
Gebirgsrandes herabreichen. Das felsige Gelán-
de trágt dazu bei, dass die Moránen geschieberei-
cher sind, vor allem auch grössere Felsblöcke
enthalten und so dem Flechtenbewuchs ausrei-
chende Substratfláchen bieten. Auch besteht bei
diesen Moránen die Aussicht, dass sie nach ihrer
Ablagerung rascher zur Ruhe kommen als die
feinmaterialreichen Moránen an den Rándern
von Eiskappen. Dadurch ist ein ungestörtes
Flechtenwachstum leichter gewáhrleistet (Jaksch
1975). Ausserdem macht sich der Einfluss des
Windes, seine korradierende Wirkung, auf die
Substratfláchen und deren Flechtenbewuchs in
den Tálern weniger bemerkbar als auf den freien,
ungeschiitzten Sanderfláchen. Unterschiedliche
Voraussetzungen fíir das Flechtenwachstum erge-
ben sich auch auf den Moránen des Sídujökull.
So treten auf ein und demselben Moránenwall
gebietsweise verschiedene Maximaldurchmesser
von Rhizocarpon auf, je nachdem ob die Moráne
der Sanderfláche oder dem Bergriicken Langa-
sker auflagert. Das anstehende Gestein des
Langasker bewirkt eine fiir die lichenometrische
Auswertung etwas giinstigere Geschiebezu-
sammensetzung und die Náhe des ca 1000 m
hohen Bjarnarsker obendrein mehr Windschutz.
Das Datieren der Endmoránen im Gletscher-
vorfeld des Sídujökull und auf der Landzunge
beim Eldgígur mit Hilfe der Lichenometrie stösst
also auf Schwierigkeiten. Man wird hier grund-
sátzlich mit viel geringeren Flechtendurchmes-
sern rechnen miissen als auf den gleich alten
Moránen der Schreitgletscher. Das Buch von R.
Jonas „Fahrten in Island“ enthalt auf Seite 166
zwei Querschnittsbilder von der Eisfront des Sí-
dujökull (damals als Skaptárjökull bezeichnet)
und zwar die steile „Vorstossfront" von 1934 und
den bereits wieder flachen Eisrand vom Juni
1935. Vor dem Gletscher sind in beiden Skizzen
zwei Moránenwálle vermerkt. Von den beiden
heute vorhandenen Endmoránen muss also we-
nigstens die áussere schon vor 1934 bestanden
haben. Vom inneren Moránenwall wáre denk-
bar, dass er durch diesen Gletschervorstoss neu
entstanden sein könnte. Wahrscheinlich trifft das
jedoch nicht zu, denn der Vergleich des Flechten-
bewuchses mit dem auf der Endmoráne östlich
des Eldgígur (deren Datierung möglich ist) weist
ihn als álter aus. Keinesfalls aber geht der innere
Moránenwall auf den letzten plötzlichen Glet-
schervorstoss des Sídujökull von 1963/64 (Thora-
rinsson 1964) zuriick. Wáre das der Fall, dann
gábe es hier noch keinen Rhizocarpon-Bewuchs.
Uber das Alter der beiden Moránenwálle im
Vorfeld des Sídujökull kann man also nur Ver-
mutungen anstellen. Ubertrágt man die an
Schreitgletschern gewonnenen Ergebnisse auf
dieses Gebiet, wobei die besonderen Bewegungs-
mechanismen des siidwestlichen VatnajökullJ)
verstárkend hinzukommen mögen, dann könnte
die áussere Endmoráne um 1890, die innere in
der Zeit zwischen 1920 und 19305) entstanden
sein.
Besonders merkwiirdig ist aber das Verhalten
der beiden Gletscher auf der Ostseite der Land-
zunge. Ihre Endmoránen wird man schon wegen
ihres geringen Bewuchses als recht jung einstufen
miissen. In diesem Zusammenhang gewinnt die
Photographie von F. Nusser, die er im Juni 1935
vom Gipfel der Hágöngur aufgenommen hat und
die alle drei Gletscherzungen zeigt (Abb. 69 in
Jonas 1948), einen besonderen dokumentari-
schen Wert. Wáhrend auf diesem Bild der Glet-
scher súdlich der Hágöngur noch eine steile
„Vorstossfront" besitzt (eine Endmoráne ist im
Bild nicht eindeutig erkennbar), weisen die bei-
den östlichen Gletscher durch ihre mássig steilen,
3) Dieses Lager befand sich am rechtcn Djúpá-Ufer etwa an
der Stelle, wo der Fluss die beiden Moránenwálle durch-
bricht.
4) Die plötzlichen Vorstösse von Gletscherzungen des Vatna-
jökull fúhren F. Nusser (1940) und N. Nielsen (1937) auf
vulkanische Vorgánge zurúck, wáhrend S. Thorarinsson
(1964) der Besonderheit des Verhaltens sehr flacher Glet-
scher sowie dcren subglazialen Topographic entscheidende
Bedcutung bcimisst.
5) Im Gletschcrvorfeld des Sólheimajökull geht einer der höch-
sten Endmoránenwálle auf einen solchen Vorstoss zurúck
(Jaksch 1975). Vermutungen hat darúber auch G. Bárdar-
son (1934, p. 43) geáussert: „Als Eythórsson im Sommer
1930 den Gletscher untersuchte, scheint dessen Ausdehnung
sehr áhnlich oder fast genau dieselbe wie die vom Jahre 1904
zu sein, und doch hat es den Anschein, als sei der Gletscher
im Rúckschrcitcn bcgriffcn gewescn."
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