Studia Islandica - 01.06.1940, Side 82
AUSZUG.
Die Ereignisse, von denen die Saga von Hrafnkell dem Freys-
goden (hier Hrafnkatla genannt) erzahlt, sollen sich um die
Mitte des 10. Jahrhunderts abgespielt haben. Die Saga soll nach
den herrschenden Ansichten um 1200 gesehrieben worden sein.
Sie ist sehr ubersichtlich und ohne Abschweifungen. Der Stil ist
kraftvoll und urwiichsig, der ganze Stoff sieht nach Wirklichkeit
aus und ist ohne Úbertreibungen. Verschiedene Ziige werden an
Ortsnamen gekniipft, die anscheinend fiir die Glaubwiirdigkeit der
Saga zeugen, weshalb man die Saga zu den zuverlássigsten Islán-
dersagas gezáhlt und als Quelle selbst iiber die Landnáma gestellt
hat, so oft ein Unterschied zwischen beiden sich bemerkbar macht.
Demnach wáre die Hrafnkatla ein wichtiges Beispiel der Festig-
keit und Formvollendung der islándischen Úberlieferung, da sie
Erzáhlungen von rund 250 Jahre alten Geschehnissen aufbewahrt,
die durch diese lange Zeit nur im Gedáchtnis ohne Unterstutzung
von Skaldenstrophen oder schriftlichen Aufzeichnungen bewahrt.
worden wáren. Wenn es daher möglich wáre, iiber den Stoff und
die Entstehung der Saga zu sicheren Ergebnissen zu kommen,
wiirde dies uns nicht allein in den Stand setzen, eine höchst be-
aehtenswerte Saga zu verstehen, sondern auch fiir unsere An-
schauungen vom Ursprung der Islándersagas von Bedeutung
sein können.
Der historische Inhalt ist in dieser Beziehung von ausschlag-
gebender Wichtigkeit und fiir das Alter und die Festigkeit.
der Úberlieferung entscheidend. Im Ganzen ist es recht schwer,
die Wahrhaftigkeit der Islándersagas wegen Mangels an besseren
Quellen zu kontrollieren. Fiir die Hrafnkatla ist es in dieser Hin-
sicht möglich, zu relativ sicheren Ergebnissen zu gelangen.
Der Hauptinhalt ist folgender: Sámr Bjarnason, ein Thing-
mann des Goden Hrafnkell, der seinen Vetter Einar getötet hat,
stellt die iibliche Forderung der Genugtuung wegen dieses Tot-
schlages. Sámr wird von zwei Háuptlingen aus den Westfjorden,
den Þjóstarsöhnen, unterstiitzt und erwirkt, dass Hrafnkell auf
dem Allthing fiir schuldig erklárt wird, vertreibt ihn von seinem
Hofe Aðalból und nimmt darauf Besitz von seinem Gut undí