Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.1985, Side 194
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Triumph freilich, hinter dem der Tod steht, wie Gunnarr es in Str. 31
richtig sieht; Gunnarr erkennt am biassen Gesicht von Brynhildr, dass
sie todgeweiht ist. Durch ihr Handeln hat Brynhildr ihr Leid noch
vergrossert, sie hat umbringen lassen, was sie liebte. Das zeigt die
Ambivalenz ihrer Gefiihle; in einem neuen, geradezu modern anmu-
tenden Brynhildbild wird hier das Bose gezeigt, aber auch die grosse,
unerftillte Leidenschaft, die dazu fiihrt.101a
Die gleichzeitige Verwendung von jokull zur Bezeichnung des ver-
hårteten Inneren eines “bosen” Menschen in der Skamma und in der
geistlichen Literatur kann nicht Zufall sein. Der Verfasser der Skam-
ma hat, wie ich meine, aus der geistlichen Literatur geschopft.102 Da-
mit stellt sich das Problem der Entnahme, wo wurde die verwendete
Metapher entnommen? Aus dem Islåndischen oder dem Lateini-
schen? Bezuglich der ersten Moglichkeit scheidet eine Entnahme aus
der Marfu saga aus chronologischen Grunden aus. Auch wenn man
vielleicht den Himmelfahrtspassus etwas weiter in die zweite Hålfte
des 13. Jhs. setzen kann, ist doch zu bedenken, dass fur die Zusam-
menstellung der Lieder-Edda nicht iiber 1270 hinausgegangen werden
kann; Lindblad103 spricht von ca. 1240, Schier104 vom Zeitraum 1220-
70, wobei er den Zeitpunkt unmittelbar vor 1250 fur am einleuch-
tendsten halt. Kenntnis der mittelalterlichen Kålte- und Eistheologie
låsst sich auch anhand der angefiihrten Stellen aus den beiden Homili-
enbiichern entnehmen. Schopfung der Metapher auf diesem Hinter-
grund, vielleicht in Verbindung mit lateinisch schreibenden theologi-
schen Autoren, ist denkbar. Es besteht jedoch eine weitere Moglich-
10la Der Aspekt der sich ara Schluss (Str. 34-41) selbst siegreich Verteidigenden wird
an anderer Stelle behandelt werden.
102 Die von Mohr, ZfdA 75(1938) S. 217ff. und 76(1939) S. 149ff., herangezogenen,
vor allem aus Grundtvigs Folkeviser-Ausgabe stammenden Balladen, mit deren Hilfe er
das sog. novellistische Lied erschliesst, das die - dann iibersetzte - Vorlage fur die
heroische Elegie gewesen sein soli, enthalten keine Vergleiche wie die in Ghv. 20,7/8
und Sg.8,3. (Mohr selbst geht auf die betreffenden Vergleiche auch gar nicht ein.)
Logischerweise, darf man wohl sagen, die zwei Vergleiche - Schmerz, der schmelzt, und
das Bose als Eis und Gletscher symbolisiert - konnen nicht der Balladenebene entsprin-
gen, dazu sind sie viel zu speziell und auch zu gewaltig. Die Ballade - und damit auch
das von Mohr postulierte Lied - ist schablonenmåssig (Mohr selbst spricht von “Schla-
gern”); sie kennt lediglich Vergleiche, wie z.B.: weiss wie eine Lilie.
103 Gustav Lindblad: Studier i Codex regius av Åldre Eddan. Lundastudier i nordisk
språkvetenskap 10. Lund 1954, S. 276.
104 Kurt Schier, in: Kindlers Literatur-Lexikon. Mailand 1964, Bd. 8, S. 2969.