Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.1985, Qupperneq 195
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keit. Im Himmelfahrtspassus und im Mirakel 608,20ff. sind die Begrif-
fe jokull und hardydgisjokull in den Marienkult integriert: Maria
bringt das Schmelzen zustande. Dies ist eine sekundåre Entwicklung.
Das Primåre ist, wie oben angedeutet, dass die Kålte- und Eistheolo-
gie auf Gott bezogen wird, so wie es sich bei Augustin findet. Dass
man sich mit dieser Augustinischen Theologie in Island bereits vor der
Beschåftigung mit dem Marienkult befasst haben muss, låsst sich an-
hand des Mirakels 170,2ff. nachweisen. In diesem Mirakel ist nåmlich
noch der vom Marienkult unberiihrte primåre Bezug auf Gott erhal-
ten; Gott bringt hier den jokull zum Schmelzen, nicht Maria, und es
wird auch von Gott gesagt, dass er mikil stormerki ausfuhrte. Dies
aber widerspricht eindeutig der im Himmelfahrtspassus gegebenen
programmatischen Darstellung, ein Sachverhalt, der sich nicht mit der
Anlage dieses Mirakels erklåren låsst. Auch in diesem Mirakel wåre
es moglich gewesen, das Schmelzen des jokull auf Maria zuriickzufuh-
ren. Moglicherweise liegt hier ein Textstiick vor, das urspriinglich in
einen anderen Zusammenhang gehorte; dass es sich heute in einem
florissanten Rahmen findet, widerspricht dem nicht. Die kunstgerech-
te Uebersetzung des Hendiadyoins duritiae rigorem glaciemque, die in
dieser Passage enthalten ist, muss diesen Stil nicht voraussetzen. Wir
haben hier somit einen Beleg fur Augustinische Theologie ohne Inte-
grierung in den Marienkult. Damit liegt es nahe, die Quelle fur Sg. 8,3
in diesem Zusammenhang zu sehen, wenn nicht schon islåndisch, so
doch lateinisch. Trotzdem reicht die Kenntnis Augustins fur die Erklå-
rung von Sg. 8,3 nicht aus. Diese Metapher setzt die Kenntnis des
oben angefiihrten Verses aus dem 7. Buch der Metamorphosen des
Ovid voraus: tum ferrum et scopulos in corde fatebor (Medea).105 Ne-
ben ferrum ist von scopulos die Rede, d.h. Feisen, (steilen) Klippen,
wie sie in der Nåhe des Meeres aufragen. Es handelt sich dabei um
einen in der antiken Literatur oft beniitzten Topos, dessen Entstehung
mit Vers 16,34f. aus der Ilias zusammengebracht werden muss. Scopu-
los, das natiirlich nicht buchståblich interpretiert werden darf, symbo-
lisiert die Hårte der Gefiihllosigkeit, und entsprechend symbolisieren
105 Kenntnis und Beniitzung von Ovid ergibt sich auch in Zusammenhang mit der
Tr6jumanna saga (hg.v. Jonna Louis-Jensen, Editiones Arnamagnæanæ, Ser. A, Bd. 8
und 9, Copenhagen 1963 und 1981). In der Einleitung zu Bd. 9 (S. XXXIIf.) wird auf
die Beniitzung von Met. I und VII sowie von Heroides X und XII verwiesen.