Milli mála - 01.06.2016, Blaðsíða 256
KUNST UND VANDALISMUS IM ZEICHEN DER MODERNE
256 Milli mála 8/2016
mit Ambivalenz im Herzen von einer Götterlehre (und damit
Theologie und Philosophie) mit Logik im Herzen, Logik verstan-
den als das vernünftige, nach Widerspruchsfreiheit strebende
Denken. Allerdings gehört zur Kunst auch die Faszination der lo-
gischen Form und zur Philosophie auch die Faszination der unauf-
löslichen Ambivalenz.
Diese letztere antwortet nicht nur auf die fremde Natur, sondern
auch auf das Zerstörungswerk der Geschichte. Wenn ich im folgen-
den von emphatischer Kunst rede und von ihrer Auseinandersetzung
mit dem Vandalismus der Geschichte, so denke ich nicht an eine
formalästhetische Bewertung, sondern eher an eine geschichtsphi-
losophische Ortsbestimmung.6 Kunst im emphatischen Sinn nimmt
die Herausforderungen ihrer Epoche implizit oder explizit auf und
versucht, ihnen mit den geistigen Mitteln ihrer Epoche einen Platz
in einem Weltbild zu geben, nicht in Form einer zusammenhän-
genden Lehre, sondern in einer Spiegelung der inneren und äußeren
Welt, welche die vom Mythos geerbte Ambivalenz enthält; das
bewirkt, dass ihr Versuch letzten Endes logisch nicht glücken kann.
So bleibt sie davor bewahrt, eine Lehre zu werden, die eine
Sinngebung anbietet, auch wenn sie immer ein Gegenentwurf
bleibt. Als Gegenentwurf, der uns mit Ambivalenz versöhnt, unter-
scheidet emphatische Kunst sich von Reklame, sei es Warenreklame,
sei es nationale Reklame wie z. B. in der Moskauer Untergrundbahn.
Und sei sie noch so gut gemacht, wie etwa in Riefenstahls Hitler-
Filmen, so kennt sie keine Ambivalenz und keine Öffnung zu dem
tödlich Unbekannten. Hier wird vielmehr Glück versprochen, ei-
nes, das nichts mit emphatischer Kunst zu tun hat, sondern in na-
6 Die Diskussion über die literarische Wertung, die in den deutschsprachigen Ländern in den
1960er und 1970er Jahren geführt wurde, soll hier nicht wieder aufgenommen werden. Damals
versuchte man den Kunstcharakter vor allem an der sprachlichen Form der Wirklichkeitsdarstellung
festzumachen. Der Gegenbegriff zum sprachlichen Kunstwerk war dementsprechend der Kitsch.
Aktuell ist allerdings immer noch Adornos Kritik an der Kulturindustrie, nur dass die zivilisa-
tionszerstörende Gewalt des Kapitalismus inzwischen entscheidend zugenommen hat.