Milli mála - 01.06.2016, Blaðsíða 265
WOLF WUCHERPFENNIG
Milli mála 8/2016 265
schen, noch stärker zerstörerischen Phase der Moderne besser zu
verstehen. Die Schönheit der Romantik ist jetzt nicht mehr mit
Zukunftshoffnung verbunden, sondern mit der Melancholie des
Untergangs; das Göttliche wird nicht verwirklicht, beklagt das
Gedicht Le Coucher du Soleil romantique, sondern zieht sich aus der
Welt zurück. Das Gedicht Correspondances bezeugt, dass das unend-
liche Netzwerk der Analogien für Baudelaire noch existiert; aber es
ist nicht mehr Anlass für eine Romantisierung der Welt, seine
Wirkung beschränkt sich auf den persönlichen künstlerischen
Genuss, der vor der Wirklichkeit beschützt. Wirklichkeit und un-
mögliche Vergeistigung spalten die Person in Spleen et Idéal. Das
Schöne steht in unversöhnlichem Kontrast zum hässlichen Neuen,
und das macht, dass der Dichter zu einer einsamen Gestalt der
Vergangenheit in der modernen Großstadt wird, hilflos wie der
große Meeresvogel auf dem Schiffsdeck (L’Albatros).
Einsam ist der Künstler aber nicht in Bezug auf die
Kunstgeschichte. Man geht nicht fehl, wenn man das Gedicht Les
Phares als eine geschichtsphilosophische Kunstreflexion liest. Das
Gedicht ist eine Art kunstkritischer Gang durch ein Museum mit
Bildern von der Renaissance bis zu Baudelaires Gegenwart. Acht
Gemälde werden charakterisiert, dem folgen drei schlussfolgernde
Strophen. Anders als die Fackeln, die das analysierende Subjekt der
Aufklärung mit sich führt, erhellen die Leuchttürme nicht die
Welt der Objekte, sie sind lediglich Orientierungspunkte in einer
ansonsten finsteren Welt. Eine Welt, die keine schöne Schöpfung
ist, sondern eher ein demiurgisches Zerstörungswerk, traurig, böse
und furchterregend.
Das Werk der Zerstörung ist geschehen, und es ist nicht wieder
gut zu machen. Das ist Baudelaires Grundvoraussetzung, unendlich
fern von jeder Aufklärungskunst. Was kann die Kunst dann noch?
„Tu m’as donné ta boue, et j’en ai fait de l’or,“ sagt er zu Paris und
damit zu seiner ganzen Gegenwart. Er verwandelt das Ekelerregende
in Schönheit: Fleurs du mal. Das ist ein zentraler Gedanke bei
Baudelaire. In seinem Artikel über Théophile Gautier sagt er:
„C’est un des privilèges prodigieux de l’Art que l’horrible, artiste-
ment exprimé, devienne beauté, et que la douleur rythmée et caden-