Milli mála - 01.06.2016, Qupperneq 261
WOLF WUCHERPFENNIG
Milli mála 8/2016 261
auch in der Komödie, wenn man sich nicht vom munteren Treiben
täuschen lässt. Von nun an sind also Psychologie und Philosophie
ein Teil der Kunst, die auf der Höhe der Zeit sein will.
Dass die harmonische Gesellschaft nicht verwirklicht wurde,
gegen alle Hoffnungen der Aufklärung, ist das Problem der neuen
Epoche. Die Aufgabe, die Welt zu vollenden, wie es oben hieß,
wurde angenommen, aber nicht gelöst. Das traurige Schicksal der
Französischen Revolution, das Schiller überhaupt erst zu seinem
fehlgeschlagenen Projekt der ästhetischen Erziehung veranlasst hat-
te, hat in der europäischen Öffentlichkeit viele lange Diskussionen
hervorgerufen. Die zunächst kaum bemerkte, dann aber immer
kräftiger in die Zukunft wirkende Provokation der unvollendbaren
Welt ist für die Kunst die Standardisierung, das heißt die Reduktion
von Qualität auf Quantität. Neben den Kriegen, dem altherge-
brachten Zerstörungswerk an der menschlichen Zivilisation, ist sie
die entscheidende neue vandalistische Herausforderung.
Die Romantik nimmt diese Herausforderung auf. Hier ist es
sinnvoll, den Blick auf die deutsche Romantik zu richten, denn die
Standardisierung wird besonders eindringlich vom niedergehenden
Adel erlebt, und er macht in Deutschland den Kern dieser Bewegung
aus. Es pflegt ja die niedergehende Klasse zu sein, die das klarste
Bewusstsein für die drohende Eigenart des Neuen hat. Die
Standardisierung wird hier ganz allgemein als eine Reduktion der
Welt auf „Tabellen und Register“ erlebt, wie es im Ältesten
Systemprogramm des deutschen Idealismus12 heißt. Auch ein Teil der
Literatur wird vom Markt standardisiert. Im 18. Jahrhundert be-
ginnt die Kritik an dieser Art Literatur, die später dann als
Trivialliteratur bezeichnet wird, vor allem mit Hilfe des
Geschmacksbegriffes. Als den grundlegenden, vielleicht weniger
deutlichen Vorwurf, kann man jedoch wohl die Kritik an fehlender
ästhetischer Distanz bezeichnen.13 Vielleicht sollte man eher von
fehlender philosophischer Distanz reden, denn die rein handwerks-
mäßige Distanz könnte kaum ausgeprägter sein. Das Resultat be-
12 Der kurze Text gilt als Grundsatzprogramm der deutschen Romantik. Er ist in Hegels Werken
abgedruckt, wahrscheinlich aber von Hegel, Schelling und Hölderlin gemeinsam verfasst.
13 Vgl. Jochen Schulte-Sasse, Die Kritik an der Trivialliteratur seit der Aufklärung. Studien zur Geschichte
des modernen Kitschbegriffs (Bochumer Arbeiten zur Sprach- und Literaturwissenschaft 6), München:
Wilhelm Fink, 1971