Milli mála - 01.06.2016, Síða 263
WOLF WUCHERPFENNIG
Milli mála 8/2016 263
Puységurs Lehre vom animalischen Magnetismus entstand.15 Die
Kunst hat nun, wie Novalis und Schlegel lehren, die Aufgabe, die
Welt zu „romantisieren“, das heißt, die schlechte Welt durchsich-
tig zu machen für die tieferliegende oder eigentlich höherliegende
harmonische Ordnung des Geistes.
Wie hält die Romantik es mit der Geschichte? Die Überzeugung
von der Möglichkeit historischen Fortschritts ist ihr verloren ge-
gangen, so dass der eingangs genannte zweite Versuch, die Gnosis
dadurch zu überwinden, dass der Mensch selbst die Welt moralisch
und technisch verbessert, als gescheitert gilt. Entweder werden
vormoderne Gesellschaftsverhältnisse wiederbelebt, doch auf der
Grundlage der Liebe, so dass Geschichte durchsichtig wird für die
Harmonie der Analogien, vor allem in mittelalterromantischen
Romanen, oder aber so, wie in den gothic novels, dass die zweifelhaf-
te Schöpfungsgeschichte sich fortsetzt in Familiengeschichten wie
in derjenigen von E. T A. Hoffmanns Medardus, die unter dem
Fluch des Sündenfalls steht, dem Fluch der Sexualität als des geist-
feindlichen Prinzips. So kann die romantische Kunst, auch in
England und Frankreich, wo das Projekt nicht mit gleicher Stringenz
entwickelt wurde, als eine Konfrontation der beiden Welten gele-
sen werden, immer mit dem Tod als drohender, aber auch locken-
der Macht.
Das romantische Projekt öffnet neue Register des Gefühls und
des Bewusstseins, aber als gesellschaftliches Projekt scheitert es an
der standardisierenden Kraft des Geldes. Hier erlebt man, wie eine
moderne Geschäftswelt alles Überkommene zerstört. Marx und
Engels schreiben wenig später im Kommunistischen Manifest über das
gesellschaftliche Zerstörungswerk der Bourgeoisie die berühmten
Sätze:
15 Ich stütze mich hier auf die Forschungen Uffe Hansens, der nachweist, dass Puységur, nicht der
immer wieder genannte Mesmer, der für die romantische Literatur entscheidende Vertreter des
animalischen Magnetismus ist. Vgl. Uffe Hansen: »Grenzen der Erkenntnis und unmittelbare
Schau. Heinrich von Kleists Kant-Krise und Charles de Villers«, in: Deutsche Vierteljahrschrift für
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 79 (2005), H. 3, S. 433-471. Außerdem ders., »Der
Aufklärer in extremis. Heinrich von Kleists Die Marquise von O... und die Psychologie des
Unbewussten im Jahre 1807«, in: Klaus Bohnen / Per Øhrgaard (Hrg.): Aufklärung als Problem und
Aufgabe. Festschrift für Sven-Aage Jørgensen (Text & Kontext Sonderreihe 33), Kopenhagen und
München, 1994, S. 216-234. Ders.: »Der Schlüssel zum Rätsel der Würzburger Reise Heinrich
von Kleists«, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 41 (1997), S. 170-209. Ders.: »Prinz
Friedrich von Homburg und die Anthropologie des animalischen Magnetismus«, in: Jahrbuch der
deutschen Schillergesellschaft 50 (2006), S. 47-79.