Milli mála - 01.06.2016, Blaðsíða 274
KUNST UND VANDALISMUS IM ZEICHEN DER MODERNE
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verstärkt, aber das Subjekt, das darunter leidet, löst sich auf.32
Auch die Beispiele, die vielleicht am deutlichsten das Ende der
Kunst thematisieren, so etwa die Verhüllungen von Christo, zu-
gleich ein Versuch, die Aura vor der Warenästhetik zu schützen,
oder die hochreflektierte Malerei von Mark Tansey,33 sind gerade
kein Protest gegen die Kunst als solche mehr, sondern die künstle-
rische Darstellung ihrer Katastrophe. Durchaus eine Art von
Ambivalenz. Die Erscheinungsformen der Verfremdung sind viel-
fältig. Hier nur einige wenige, beliebig herausgegriffene Beispiele.
Eine Weiterführung Baudelaires lässt sich in Karen Blixens
„Epiphanien des Nichts“ erkennen; hier erweist sich der Tod als der
Ort der absoluten Fremde, an dem allein noch Identität gefunden
wird.34 Das Verschwinden des Menschen in der Technik zeigt der
Film mit dem treffenden Titel Modern Times (1936), in dem Charlie
Chaplin bis in seine Körperbewegungen hinein zum Abbild einer
Maschine wird, auch wenn sein „ich-hafter Rest“, wie Günter
Anders in der Antiquiertheit des Menschen sagt, den maschinellen
Ablauf komisch stört. Wenn Bertolt Brecht mit seiner berühmten
Verfremdungstechnik die Herrschaft der kapitalistischen Abstraktion
hinter der zerstörten Zwischenmenschlichkeit erkennbar macht,
wobei er Charaktere durch Exempelfiguren ersetzt, dann bleibt er
unausweichlich stehen bei der Ambivalenz zwischen dem Guten,
das erwünscht wird, und dem Schlimmen, das deswegen getan wer-
den müsste. Wenn Anselm Kiefer nach dem Vorbild von Dubuffet,
Fautrier u. a. seine Bilder mit wertlosen Materialien versieht, mit
Erde, verbranntem Holz, Stroh, verblühten Rosen – im Gegensatz
zu Mittelalter und früher Neuzeit, wo man die sinngebende
Bedeutung des Dargestellten mit wertvollen Materialien unterstrich
–, so zeigt er melancholisch, wie Krieg und Diktatur nicht nur den
Menschen auslöschen, sondern auch seine Lebenswelt.
Die vielfachen Formen, in denen Verfremdung auf die Auslöschung
32 Der antihermeneutische Antihumanismus der Foucault und Kittler ähnelt dem mit seiner lust-
vollen Absage ans Subjekt. Es geht bei ihnen aber nicht unter in tödlicher Fremdheit, sondern es
soll als Produkt von Diskursen oder gar von bloßen Datenströmen erklärbar werden: ein großarti-
ger Sieg des Positivismus, dem der frühe Kittler noch absagen zu müssen meinte.
33 Vgl. Arthur C. Danto, Mark Tansey: Visions and Revisions, New York: Harry N. Abrams, 1992.
34 Wolf Wucherpfennig, «Weibliches Phantasieren und das innere Afrika: Karen Blixen», S. 310,
in: Ferne Heimat – Nahe Fremde. Bei Dichtern und Nachdenkern, hrsg. von Eduard Beutner und
Karlheinz Rossbacher, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008, S. 301-315.