Gripla - 20.12.2007, Blaðsíða 159
ANDMÆLARÆÐUR
turgeschichte möglich ist. Vermag ein so umstrittener Terminus wie ‚Barock’
eine literarische Epoche zu charakterisieren, oder ist er bestenfalls, wenn über-
haupt, geeignet, gewisse ästhetische Aspekte eines Textes zu beschreiben. Was
also ist sein heuristischer Wert in einer aktuellen Literaturwissenschaft, die im
Zug der poststrukturalistischen Theoriebildung die fundamentale Rhetorizität
sämtlicher Literatur (an)erkannt hat? Die Verf. nimmt im Zusammenhang mit
dem Kapitel 2 zu diesen grundsätzlichen Fragen noch nicht genau Stellung,
sondern begnügt sich (vorerst) damit, die Positionen anderer Forscher zu
referieren. Da dies ihre Arbeitsweise insgesamt prägt, muss hier darauf hinge-
wiesen und zugleich angemerkt werden, dass es vielleicht hilfreich gewesen
wäre, diese Vorsicht aufzugeben und zumindest an einigen Stellen die eigene
Position deutlicher zu machen. – Gesamthaft ist dieser Forschungsüberblick
gut gelungen. Allerdings hätte man sich vorstellen können, dass die Situation
in der norwegischen Literaturwissenschaft etwas ausführlicher dargestellt
(obschon sie natürlich gerade in Bezug auf das 17. Jahrhundert nicht allzu um-
fangreich ist) und direkt vor der isländischen plaziert worden wäre, denn die
norwegische und die isländische Barockliteratur und ihre Erforschung weisen
bemerkenswert viele thematische bzw. wissenschaftsgeschichtliche Parallelen
auf.
Kapitel 3 („Barokktextinn“, S. 43-52) stellt in gewisser Weise den Versuch
dar, einen Ausweg aus den eben geschilderten Aporien, die der Barockbegriff
mit sich bringt, zu finden. Margrét Eggertsdóttir bedient sich dabei vor allem
der Untersuchung Den barokke tekst der beiden dänischen Literaturwissen-
schaftler Eira Storstein und Peer E. Sørensen, die Barocktext als Modus von
Dichtung unter weitgehendem Verzicht auf einen Epochenbegriff konzipieren
(vgl. Storstein/Sørensen 1999). Obwohl sie im Folgenden den Begriff
‚Barocktext’ auch für ihre eigenen Analysen verwendet, zieht es die Verf.
wiederum vor, die verschiedenen Thesen lediglich zu referieren: „Hér er ekki
ætlunin að taka afstöðu til þess hvort sé árangursríkara að líta á barokk sem
skáldskaparhátt eða sögulegt tímabil heldur athuga nánar þær kenningar sem
settar hafa verið fram um einkenni barokktextans til nánari skilnings á íslensk-
um kveðskap sautjándu aldar.“ (S. 43) Das Konzept von einem barocken Text,
der sich durch spezifische Elemente von anderen abhebt, wird u.a. von der
Allegorese, der Rhetorik und der Textualität getragen. Hier ist jedoch darauf
hinzuweisen, dass der erste Aspekt, also die Lektüreweise nach dem vier-
fachen Schriftsinn, wohl kaum für die barocke Literatur als spezifisch
behauptet werden kann, denn natürlich kannte schon das Mittelalter ent-
sprechende Schriftgenerierungs- und Lesemethoden. Dieser Umstand wird bei
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