Gripla - 20.12.2007, Blaðsíða 163
ANDMÆLARÆÐUR
(erneut einem vorher in Island unbekannten Genre) zum Ausdruck kommt.
Eine Passage ist Stefáns berüchtigten (Stände-)Parodien gewidmet, wobei die
Verf. S. 147-148 eine ganze Reihe interessanter Fragen zur möglichen Funk-
tion, Ausrichtung, Wirkung usw. dieser Gedichte stellt, ohne sie leider näher
zu beantworten. Hier zeigt sich, wie viele grundsätzliche Aufgaben in der
isländischen Barockliteratur noch zu klären sind. Eine auf Bachtin gestützte
Analyse des Hornfirðingakvæði und anderer Parodien etwa bringt wesentliche
neue Erkenntnisse zum karnevalistischen, performativen, inszenatorischen
Gehalt dieser Texte (vgl. S. 151–155). Zusammenfassend behandelt die Verf.
das Phänomen des Barocken am Beispiel der Sprache, der Metrik und des
Stils in Stefáns Gedichten.
Mit Kapitel 8 („Skáld og samfélag“, S. 159–184) beginnt die facettenreiche
Darstellung des vielschichtigen Werkes von Hallgrímur Pétursson. In diesem
ersten Abschnitt versucht die Verf. auf sehr überzeugende Weise zu zeigen,
wie bewusst sich der Dichter in seiner soziokulturellen Umgebung bewegte,
indem er z.B. die Gelegenheitsgedichte, aber auch umfangreichere Werke wie
die Passíusálmar führenden Persönlichkeiten zueignete oder sie ihnen zu-
kommen ließ — immer wieder hatte er mit lögmaður Árni Odsson oder
Bischof Brynjólfur Sveinsson Kontakt —, um dadurch seine Fähigkeiten als
Dichter und Pfarrer möglichst gut umzusetzen (vgl. S. 184). Sie demonstriert
hier vor allem, zu welchen rhetorischen Anlässen Hallgrímur seine Texte ver-
fasste. Ein Abschnitt ist den insgesamt zehn æviágrip über den Dichter
gewidmet, unter denen besonders die Biographie von Hálfdan Einarsson her-
aussticht; hier zeichnet die Verf. die Entstehung des Bildes, das sich die Nach-
welt vom Dichter machte, sehr illustrativ nach; es hätte vielleicht mit Vorteil
im Kapitel 18 stehen und dort die rezeptionsgeschichtliche Skizze ausbauen
können.
Kapitel 9 („Höfundarverk Hallgríms Péturssonar“, S. 185–200) handelt
von jenen Gattungen im dichterischen Werk Hallgríms, die wie die Rímur,
Psalmen, Gebete, Satiren meist eigentlich nicht als barocke Texte angesehen
werden. Doch gerade in den so typisch isländischen Rímur sind, wie Margrét
Eggertsdóttir überzeugend vorführt, in großer Anzahl Elemente enthalten, wie
sie barocker nicht sein könnten, was ein Zitat aus den Rímur af Flóres og Leó
hervorragend zeigt (vgl. S. 190–192). Hier lässt sich die Adäquatheit des Ter-
minus mit wünschbarer Deutlichkeit belegen: Barocke Texte sind Texte, die
gewisse Eigenschaften aufweisen. Es handelt sich folglich nicht um eine
absolute Größe, die einem bestimmten Autor sozusagen anhaftet. Ein ent-
sprechend geschulter Autor kann ‚barocke’ Texte, aber durchaus auch andere,
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