Gripla - 20.12.2007, Blaðsíða 165
ANDMÆLARÆÐUR
nach dem spezifisch Barocken der Textbehandlung Hallgríms stellt; es wäre
vermutlich in der Art und Weise zu suchen, wie der barocke Text die Auf-
merksamkeit weg von den Inhalten lenkt und auf sich als Text und Schmuck
aufmerksam macht, wie Sejersted ausgeführt hat (vgl. S. 252–254). Die Frage
ließe sich für die Rhetorik wiederholen, wenn S. 256 nach einer glänzenden
Analyse der verschiedenen eloquenten Verfahren im Psalm Árið nýtt nú á
darauf hingewiesen wird, solche rhetorischen Formen von Gebeten hätten sich
schon im Mittelalter herausgebildet. An der Richtigkeit von Analyse und
Konklusion ändert dieses bohrende Nachfragen nach der barocken Spezifität
natürlich nichts. — Im Zusammenhang mit dem Reisegedicht Ég byrja reisu
mín distanziert sich die Verf. richtig von einer zu sehr personifizierenden
Lektüre als Gelegenheitsgedicht im modernen Sinn (vgl. S. 258). — Eine in-
teressante Beobachtung stellt sie am Beispiel des Epicedium (erfiljóð) an: In
diesem Genre geht es darum, die Hinterbliebenen zu trösten (consolatio), so
dass die gleiche Sache (das Grab des Toten), die die Vergänglichkeitsgedichte
als schrecklich und abstoßend darstellen, zu einer gemütlichen Schlafstätte
wird (vgl. S. 261). Eine Sache hat also nicht ihre feste Ausdrucksform, son-
dern wird je nach Erfordernissen, die der rhetorische Anlass (Trost oder Tadel)
diktiert, neu formuliert. Zu den wenigen direkten Auseinandersetzungen, die
Margrét Eggertsdóttir mit isländischen Forschern führt, gehört die folgende
Analyse des Gedichts über Hallgríms verstorbene Tochter Steinunn, Sælar þær
sálir eru. Diesen Text will die Verf. mit guten Gründen als consolatio lesen,
die auch Elemente der laudatio enthalte, nicht wie Þórunn Sigurðardóttir als
Elegie und schon gar nicht wie Magnús Jónsson in seiner großen Hallgrímur-
Biographie von 1947, dessen verständnisloser, biographistischer Deutung sie
eine brillante, literarhistorisch-intertextuell-poetologisch-rhetorisch-gattungs-
typologische Plazierung des Gedichts gegenüberstellt und aufweist, wie
dieses im hohen Stil gehaltene Gedicht präzis jenes zentrale Moment der Ruhe
zum Ausdruck bringen kann, das einem Requiem, einem Gedicht auf eine
Verstorbene, in jeder Hinsicht angemessen ist (vgl. S. 265–268; vgl. Þórunn
Sigurðardóttir 1997, Þórunn Sigurðardóttir 2000, Magnús Jónsson 1947).
Auch Kapitel 13 („Sálmar og andlegar söngvísur“, S. 271–304) ist ein
schwergewichtiger Abschnitt, der eine weitere bedeutende und umfangreiche
Gattung der nordischen Literaturen im 17. Jahrhundert, die Psalmen und die
geistlichen Lieder, behandelt. Zurecht bemerkt die Verf., dass es oft schwierig
ist, klare Trennlinien zwischen der geistlichen und der weltlichen Dichtung zu
ziehen. Das Kapitel weist wiederum eine genaue Darstellung des literar-
historischen Hintergrunds der isländischen Psalmentradition auf (u.a. Martin
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