Gripla - 20.12.2007, Blaðsíða 170
GRIPLA
der Hauptverdienste der vorliegenden Arbeit ist es, dass sie die isländische
Literatur des 16. bis frühen 18. Jahrhunderts in einem umfassenden interna-
tionalen Kontext sieht. Dies bedeutet, dass sie die neulateinische Dichtung der
Zeit ebenso berücksichtigt wie die verschiedenen Traditionslinien in den
muttersprachlichen Literaturen der Reformation, des Humanismus, des
Barock usw. Margrét Eggertsdóttir stellt sehr schön dar, dass eine Beschäfti-
gung mit der literarischen Kultur der Zeit nur über eine entsprechende
Berücksichtigung der damaligen literarischen, d.h. poetologischen und rheto-
rischen Normen erfolgen kann. In völliger Übereinstimmung mit der aktuellen
Barockforschung geht es ihr darum, den rhetorischen Grundcharakter der
Texte Hallgrímur Péturssons und der anderen Autoren des isländischen 17.
Jahrhunderts herauszustreichen. Das heißt z.B., dass ein von der früheren For-
schung als selbstverständlich erachteter Zugang zu den Texten über die Bio-
graphie der Autoren bzw. der Zugang zum Leben über die Texte von vorn-
herein als mehr oder weniger irrelevant wegfällt. Zentral sind in einer solchen
rhetorikgeschichtlichen Untersuchung vielmehr die Wirkung, die die Dichtung
erzielen soll, und die Anforderungen, die die Behandlung gewisser litera-
rischer Themen in gewissen Konstellationen stellen; Privates beispielsweise ist
nicht Gegenstand barocker Texte.
Eine der vielen spannenden Möglichkeiten, die dieser Zugang zur Litera-
tur des 17. Jahrhunderts eröffnet, ist die Analyse der poetologischen und rhe-
torischen Renaissance, die in der Dichtung, die sich auf die skaldische Tradi-
tion beruft, unternommen wird. Genau wie die mittelalterliche Dróttkvætt-
Dichtung ist auch der barocke Text häufig metafiktional, primär an Formen
und klanglicher Wirkung interessiert. In der vorliegenden Untersuchung wird
dies wiederholt auf schöne Weise illustriert. Erst das Konzept des Barock-
textes erlaubt jedoch solche poetikgeschichtlich außerordentlich aufschluss-
reichen Beobachtungen. Insofern zahlt sich der Griff der Verf. zu diesem Kon-
zept, das vor allem die Schriftpraxis barocker Texte in den Vordergrund stellt,
aus. Sie kann so die meist vagen älteren Begriffe von Barock als literarischer
Epoche, als festumrissener Stil oder als Mentalität und Zeitgefühl durch eine
literaturwissenschaftlich präzise Definition ersetzen. Allgemein muss aller-
dings nochmals festgehalten werden, dass die Verf. sehr zurückhaltend in Be-
zug auf eine theoretische Positionierung ist. Sie zieht es häufig vor, die For-
schungsmeinung anderer zu beschreiben, auch in Fällen, wo der Klarheit wil-
len eine eindeutigere Haltung durchaus angezeigt gewesen wäre. So wird je-
doch manchmal nicht ganz deutlich, ob Barock von ihr nur als Textkonzept
verwendet wird oder nicht doch auch in einem umfassenderen, sozusagen äl-
168