Gripla - 20.12.2007, Side 160
GRIPLA
Storstein/Sørensen und auch in der vorliegenden Untersuchung meines
Erachtens jedoch zu wenig diskutiert. Evtl. könnte man mit einem Begriff wie
‚vormoderner’ Text operieren. Während es im Fall der Allegorese vornehmlich
Schwierigkeiten bereitet, den Begriff nach hinten, gegenüber der mittel-
alterlichen Tradition, abzugrenzen, sind im Fall der barocken Faszination am
Text als Text immer wieder vorwärtsweisende Parallelen zur Lyrik des
Modernismus gezogen worden (vgl. u.a. Sejersted 1995), und die Verf. fasst
die diesbezüglichen Arbeiten Walter Benjamins, Jacques Derridas und Jørgen
Sejersteds präzis zusammen. Eine Überlegung, die sich, angeregt von der
Lektüre der Passage, hier anschließen lässt: Mit Ausgangspunkt in Derridas
Schriftkonzept und in Verlängerung der daran anknüpfenden Überlegungen
von Sejersted ließe sich vermutlich sehr schön eine medienhistorische Analyse
des barocken Textes, beispielsweise bei Hallgrímur Pétursson — sozusagen
zwischen mittelalterlichem und modernem Text — entwerfen (zu S. 48–50).
— Eine kleine Beispielinterpretation von Hallgríms Leirkarlsvísur beschließt
dieses Kapitel. Sie zeigt das Verfahren der Verf., einen theoretischen Begriff
(hier ‚Barocktext’) aufzugreifen und ihn an einem Text von Hallgrímur zu
illustrieren (im Text selber angelegte Allegorese, fließende Grenzen zwischen
geistlicher und weltlicher Literatur im Barock), und weist auch bereits auf das
große Gewicht hin, das in den Hauptkapiteln der Arbeit der Rhetorik zu-
gemessen wird.
Kapitel 4 („Afskekkt eyja í ríki Danakonungs“, S. 53-67) bietet einen ganz
hervorragenden, komprimierten kulturhistorischen Abriss von Island im 17.
Jahrhundert, welches zusammen mit dem 18. Jahrhundert traditioneller- aber
eben auch fälschlicherweise meist als Tiefpunkt in der Geschichte des Landes
betrachtet worden ist. Die Verf. stellt mit Bezug auf neuere historische
Untersuchungen (z.B. Helgi Þorláksson) klar, dass diese Verfallsthese unter
keinen Umständen mehr aufrecht erhalten werden könne und das Bild vom
17. Jahrhundert wesentlich zu differenzieren sei (vgl. S. 61). Im zweiten Teil
dieses Kapitels werden die wichtigsten Gattungen der weltlichen und
geistlichen Literatur im 17. Jahrhundert vorgestellt, wodurch die Behandlung
der verschiedenen dichterischen Traditionen im nächsten Kapitel vorbereitet
wird.5
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5 Im Sinn einer kleinen Anmerkung zu Seite 61, wo die Verf. schreibt: „Á Íslandi var aðeins ein
prentsmiðja; sú sem Jón Arason hafði látið setja á Hólum og Guðbrandur Þorláksson og fleri
nýttu uns hún var flutt í Skálholt árið 1685“, kann vielleicht präzisiert werden, dass es sich
bei der von Bischof Guðbrandur Þorláksson und seinen Nachfahren benutzten Druckerei
streng genommen nicht um jene handelte, die von Bischof Jón Arason eingeführt worden