Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1938, Blaðsíða 136
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LE NORD
»Unsere Lage gestattet nicht, uns
an Grossmachtsbiindnissen zu betei-
ligen, schon aus dem Grunde, weil
es uns nicht möglich ist, lange im
voraus dariiber im klaren zu sein,
wie die allgemeine Weltlage in
dem Augenblick aussieht, wo der
Weltfrieden eventuell zusammen-
bricht. Die Umschwungtendenzen,
die in der letzten Zeit in der inter-
nationalen Politik zu Tage getre-
ten sind, zwingen die kleinen Staa-
ten zu immer grösserer Vorsicht;
sie sind genötigt, sich immer mehr
auf sich selbst und auf die anderen
kleinen Staaten zu verlassen.«
Nachdem Herr Cajander auf den
Austritt verschiedener Staaten aus
dem Völkerbunde hingewiesen hat-
te, ausserte er: »Man kann nicht
umhin zu hoffen, dass in der ganzen
menschlichen Gesellschaft, in der
Gesamtfamilie der Völker, die Sehn-
sucht nach Ordnung und gegensei-
tigem Vertrauen den Sieg davon-
tragt, so dass der Völkerbund, auf
neuer Grundlage aufgebaut, der-
maleinst die ihm gebiihrende Stel-
lung als gemeinschaftlich.es autori-
tativesOrgan derVölker einnehmen
kann. Es steht jedenfalls fest, dass
der Völkerbund schon in seiner ge-
genwártigen Gestalt nicht ohne Be-
deutung ist, ganz abgesehen davon,
dass er das einzige Forum ist, wo es
auch den kleinen Nationen erlaubt
ist, in der Gesellschaft der Staaten
als ebenbiirtig mit den Grossen regel-
mássig ihre Stimme hören zu las-
sen.«
Im Hinblick auf Artikel 16 der
Völkerbundssatzung wurde in der
Rede gesagt:
»Finnland muss ernsthaft iiber-
legen, welchen Standpunkt es zu
den jetzt aktuellen Abánderungs-
vorschlágen zu Artikel 16 der
Völkerbundsakte einnehmen soll.
Finnland muss seinen Standpunkt
nach kalten Tatsachen und nicht
auf Grundlage theoretischer Dok-
trinen einnehmen, es muss in erster
Linie die eigene Sicherheit ins Auge
fassen, gleichzeitig aber bestrebt
sein, zu einem Einverstándnis mit
den ubrigen nordischen Lándem zu
gelangen. Die Regierung Finnlands
ist sich dessen voll bewusst, dass
der Völkerbund gegenwártig nur
eine schwache Stiitze zu bieten im-
stande ist.«
Am 7. Februar setzte der Staats-
rat eine Beratungskommission ein,
die, unter dem Vorsitz des Aussen-
ministers Holsti, u. a. als Aufgabe
hatte, die Fragen zu behandeln, die
sich auf Artikel 16 der Völker-
bundssatzung beziehen. Das erste
Gutachten dieser Beratungskommis-
sion wurde dem Prásidenten der Re-
publik am 20. Mai vorgetragen. Der
Prásident fasste daraufhin einen
Entschluss, in dem gesagt wird,
dass Finnland im Hinblick auf
die jetzige Weltlage sich bis auf
weiteres das Recht vorbehált, iiber
jeden einzelnen Fall frei zu ent-
scheiden, wie weit es die Bestim-
mungen des Artikels 16 anzuwen-
den bereit ist.