Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1938, Page 256
246
LE NORD
iiber gewesen. Sie haben vergessen
wollen. Sie haben gelernt, die Tra-
gödien im Gedachtnis zu bewahren,
die sich sehr oft sowohl in der Na-
tur als in der Geschichte abspielen.
Aus ihrem Sinn ist die Bitterkeit
auch dem Sieger des Krieges, dem
Weissen General Mannerheim ge-
geniiber entschwunden. Ja, sie ha-
ben seinen vielen von Mannesmut
zeugenden Ausserungen im Laufe
der vergangenen Jahre ihre Aner-
kennung geschenkt. Man ist zu der
Erkenntnis gelangt, dass er beim
Erfiillen der ihm auferlegten Auf-
gabe nur seiner Pflicht als Krieger
nachging. Die Arbeiter haben, kurz
gesagt, zu verstehen gelernt, was die
Geschichte der Zukunft unzweifel-
haft feststellen wird, dass unser
Biirgerkrieg die Widerspiegelung
der Ereignisse in unserem grossen
östlichen Nachbarstaat war.«
Hinsichtlich der gegenwartigen
Orientierung der Regierung und der
Zusammensetzung dieser Regierung
áusserte Minister Tanner: »Bei uns
war es schon zur schlechten Praxis
geworden, Minoritátsregierungen zu
bilden, die sich nicht auf eine Ma-
joritát im Reichstag stiitzen konn-
ten. — Dieses hat eine grosse Un-
sicherheit in unserem ganzen poli-
tischen Leben zur Folge gehabt, da
man ja niemals im voraus wissen
konnte, wie die Ereignisse sich ent-
wickeln wiirden. Jetzt ist die Lage
eine andere. Die Regierung kann
sich in ihrer Arbeit auf eine ent-
schiedene Majoritát stiitzen, die et-
wa drei Viertel des Reichstags be-
trágt. Die Richtung dieser Arbeit
ist daher stabil und im voraus be-
kannt.«
Zu dieser politischen Sanierung
haben nach dem Erachten Herrn
Tanners sowohl die Unsicherheit
der áusseren Verháltnisse als das
Beispiel der iibrigen Nordischen
Lánder beigetragen. Die Vorausset-
zungen einer politischen Zusam-
menarbeit der Bauern und Arbeiter
griinden sich in Finnland ausserdem
auf die Tatsache, dass die heutige
Arbeiterklasse entweder ganz kiirz-
lich oder höchstens vor einpaar Ge-
nerationen aus dem Kreise der
ackerbauenden Bevölkerung ent-
standen ist.
Der Ansicht Minister Tanners ge-
máss muss es als ein Gliick betrach-
tet werden, dass in der Regierungs-
koalition ausser der Agrarpartei der
Bauern und der sozialdemokrati-
schen Partei, auch die liberale Fort-
schrittspartei durch reiche geistige
Kráfte vertreten ist.
Offenbar weil man behauptet
hat, dass die Sozialdemokraten nur
aus taktischen Motiven eine mode-
rate Politik befolgen, beleuchtete
Minister Tanner das Verhalten sei-
ner Partei auch den marxistischen
Theorien gegeniiber. Zu Marx’ Leb-
zeiten waren die Verháltnisse an-
ders als heutzutage. Die Arbeiter
hatten nichts zu verteidigen und
auch sonst »nichts zu verlieren als
ihre Fesseln«. Jetzt haben sich die
Verháltnisse geándert. Die Lage der