Studia Islandica - 01.06.1989, Side 49
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zu nennen brauchen. Die betreffenden „dróttkvæði“ Snorris
sind doch wohl „audita“ und können ebensowenig wie bei
Theodoricus „visa“ sein. Wie bereits gesagt wurde, bezieht
sich der Ausdruck „visa“ auf den Autor selbst als Augenzeu-
gen gegeniiber anderen Quellen, die z.B. Berichte von Au-
genzeugen (= audita) sein können. Hier muG die Unterschei-
dung der drei Quellengruppen mittelalterlicher Historiker
betont werden.24 Man sollte die zuverlássigste Quelle, d.h.
den Geschichtsschreiber selbst als Augenzeugen, nicht mit
weniger sicheren Quellen, d.h. Erzáhlungen anderer (z.B.
Skalden), die Augenzeugen waren, gleichsetzen.
Die Bedeutung von Augenzeugenberichten tritt auch be-
sonders bei den Verfassern von Heiligenviten und Mirakel-
sammlungen hervor, die starker Beweise bedurften, um ihre
Wunder glaubwurdig erscheinen zu lassen. Es ist jedoch klar,
daB man solche Angaben nicht immer fúr bare Múnze neh-
men muB, denn Augenzeugenschaft kann fingiert sein, und
das nicht nur in der Hagio-, sondern auch Historiographie.25
Bezúglich der múndlichen Úberlieferung brachten Ge-
schichtsschreiber neben Augenzeugen auch Leuten Vertrau-
en entgegen, die sie fúr wahrheitsliebend und zuverlássig hiel-
ten.26 Als besonders glaubwúrdig galten die Angaben von
gottesfúrchtigen Leuten. Man bewertete nicht so sehr die Er-
záhlungen selbst, sondern vor allem die Personen, welche sie
vorbrachten. Auch eine gröBere Anzahl Zeugen oder Autori-
táten konnte den Historiker dazu zwingen, bestimmten Din-
gen Glauben zu schenken. Seltsame und wunderbare Berich-
te erkannte man an, wenn sie mit dem christlichen Glauben
vereinbar waren. Auf diese Weise konnten eben auch Mira-
kel als beweiskráftig angesehen werden.27 Dies zeigt sich z.B.
in Theodoricus’ Darstellung von Óláfr helgi.28
Zum SchluB ist noch jene Art múndlicher Uberlieferung zu
nennen, die Historiographen am unzuverlássigsten schien,
námlich das Gerúcht (fama). M. Schulz hat dazu u.a. folgen-
des zu sagen: „Es sind/... /gerade Heiligenleben, die dem Ge-
rúcht gúnstiger gegenúberstehen. Wenn nun allmáhlich auch