Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.1967, Blaðsíða 537
VERHÅLTNIS ISL., FÅR./NORW. DIALEKTE
507
druck ’Norwagismen’ (in einem vor allem von Hægstad und Seip
geprågten engen Sinn, wie er sich heute kaum mehr halten låsst; vgl.
§ 270) gebraucht8.
Dass noch mittelalterliche Novationen (auf mundlichem Weg) von
Norwegen nach Island ausgestrahlt werden konnten, wurde zwar
schon fruher gelegentlich angedeutet9, doch ist es erst Hans Kuhn,
der diese Meinung in seinem Aufsatz Die norwegischen Spuren in der
Liederedda 195210 erstmals in aller Schårfe vertritt, indem er Seips
allzu schematischer Gegeniiberstellung von Norw. und Isl. die Ansicht
entgegenhålt: ’Die Entwicklung des Islåndischen ist bis zum Ende des
Mittelalters so eng mit der der westnorwegischen Mundarten verkniipft,
dass wir alle Neuerungen, die sich damals in diesen festgesetzt haben,
auch auf Island erwarten durfen, selbst wenn sie sich da nicht zu halten
vermochten’ (S. 66 f.), und weiter: ’Bei allen sprachlichen Neuerungen,
die sowohl Norwegen als auch Island getroffen haben, ist es, wenn
nicht etwa besondre Grunde dagegen sprechen, von vornherein wahr-
scheinlich, dass sie in Norwegen alter sind als in der Kolonie’ (S. 70).
Noch deutlicher und auf breiterer Grundlage vertritt Kuhn seine An-
sicht in dem Aufsatz Zur Gliederung der germanischen Sprachen 195511,
wo er anhand zahlreicher hauptsåchlich lautlicher Beispiele den Nach-
weis dafur zu erbringen sucht, dass sich die sprachliche Gemeinschaft
zwischen den westlichen Kolonien und dem Mutterland im wesentlichen
erst nach der Besiedlung, durch sprachliche Strahlung von Norwegen
aus, herausgebildet håbe. Auch hier begnugt sich jedoch Kuhn mit
einer mehr skizzenhaften Darstellung, und es ist deshalb Chapmans
Verdienst, das Verhåltnis zwischen norw. Mundarten und Tochter-
sprachen, bes. Isl., in seiner 1962 erschienenen, aber unabhångig von
Kuhn entstandenen Arbeit erstmals zum Gegenstand einer Spezial-
untersuchung gemacht zu haben. Chapman unterzieht das Problem
8. Åhnlich beurteilt auch G. Lindblad, Studier i Codex regius av aldre Eddan
(Lundastudier i nordisk språkvetenskap 10, Lund 1954), S. 277 ff. (bes. S. 283)
die ’Norwagismen’ in der Haupthandschrift der Lieder-Edda.
9. Zuerst von Johannes L. L. Johannsson, Nokkrar sogulegar athuganir um
helztu hljodbreytingar o.ft. i islenzku (Reykjavik 1924), bes. S. 83 (vgl. dazu die
Antwort auf Bjorn K. borolfssons Kritik ANF 42, 1926 : 276-280), spater
auch von S. Kolsrud, ANF 64 (1949): 298 und V. Jansson, aaO. (s. S. 494,
Anm. 2), S. 423.
10. AphS 22: 65-80. Vgl. auch Jon Helgason, The Arna-Magnæan Manuscript
674 A 4t0 Elucidarius (Manuscripta Islandica 4, Kopenhagen 1957), S. XX ff.
11. ZfdA 86: 16-23; vgl. auch H.Kuhn, AfdA 66: 45 ff.